Die Königin der Weißen Rose
dahinter zu verbergen. Selbstverständlich glaube ich, dass sie uns verzaubern können. Selbstverständlich glaube ich, dass sie es bereits getan haben.
Ich sorge mich ganz zu Recht. Edward lässt den bekannten Hexenmeister Thomas Burdett und zwei weitere Männer verhaften, und ihre Befragung fördert eine wilde Mischung von Geschichten über die schwarzen Künste, Drohungen und Zauber zutage.
An einem sonnigen Maimorgen findet mich mein Bruder Anthony, wie ich mich mit meinem schweren Bauch an die Flussmauer des Westminster Palace lehne und ins Wasser starre. Im Garten hinter mir spielen die Kinder ein Ballspiel. Die empörten Protestschreie verraten mir, dass mein Sohn Edward gerade verliert und sich seinen Status als Prince of Wales zunutze macht, um den Spielstand zu seinen Gunsten zu manipulieren. «Was machst du hier?», fragt Anthony mich.
«Ich wünsche mir, dieser Fluss wäre ein Burggraben und könnte mich und die Meinen vor den Feinden da draußen beschützen.»
«Kommt Melusine, wenn du sie aus den Wassern der Themse rufst?», fragt er mit einem skeptischen Lächeln.
«Wenn, würde ich sie bitten, George of Clarence neben seinem Hexenmeister hängen zu lassen. Und zwar standrechtlich, ohne ein weiteres Wort.»
«Du glaubst doch nicht, dass der Mann dir etwas zuleide tun könnte, indem er dir einen bösen Zauber auferlegt?», will er wissen. «Er ist kein Zauberer. So etwas gibt es nicht. Das ist nur ein Märchen, ein Kinderschreck, Elizabeth.» Er wirft einen Blick auf meine Kinder, die auf Elizabeths Entscheidung über einen heruntergefallenen Ball warten.
«George glaubt ihm. Er hat ihn reich dafür entlohnt, den Tod des Königs vorauszusehen, und dann hat er ihm noch mehr bezahlt, um diesen herbeizuführen. George hat den Zauberer angeheuert, um uns zu zerstören. Seine Zaubersprüche sind schon jetzt in der Luft, in der Erde, sogar im Wasser.»
«Ach, Unsinn. Er ist so wenig ein Zauberer wie du eine Hexe bist.»
«Ich erhebe nicht den Anspruch, eine Hexe zu sein», sage ich leise. «Aber Melusine hat mir etwas vermacht. Ich bin ihre Erbin. Du weißt, was ich meine: Ich habe ihre Gabe, so wie Mutter ihre Gabe hatte. Wie meine Tochter Elizabeth. Die Welt singt für mich, und ich höre ihr Lied. Dinge widerfahren mir; meine Wünsche werden wahr. Träume sprechen zu mir. Ich erkenne Zeichen und Omen. Und manchmal weiß ich, was in der Zukunft geschieht. Ich habe die Gabe des Sehens.»
«Das könnten auch Offenbarungen Gottes sein», sagt er fest. «Die Kraft des Gebets. Der Rest ist Wunschdenken und Frauengeschwätz.»
Ich lächle. «Ich glaube auch, dass sie von Gott kommen. Das habe ich nie bezweifelt. Aber Gott spricht durch den Fluss zu mir.»
«Du bist eine Ketzerin und Heidin», verspottet er mich.«Melusine ist eine Märchengestalt, wohingegen der Glaube, zu dem du dich bekannt hast, Gottvater und seinen Sohn lobpreist. Um Himmels willen, du hast Gotteshäuser, Kantoreien und Schulen in seinem Namen gegründet. Deine Liebe zu Flüssen und Bächen beruht auf Aberglauben, den du von deiner Mutter hast, heidnischer Glaube alter Zeiten. Du kannst nicht beides zu einer Religion kneten und dich dann auch noch vor Teufeln ängstigen, die einzig deiner Phantasie entspringen.»
«Natürlich, Bruder», sage ich mit zu Boden gesenktem Blick. «Du bist ein gelehrter Edelmann: Ganz bestimmt weißt du es besser.»
«Hör auf!» Er schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. «Hör auf. Komm bloß nicht auf die Idee, ich würde auch nur versuchen, mit dir zu debattieren. Ich weiß, dass du deine eigene Religion hast, teils Märchen, teils Bibel, in jedem Fall Unsinn. Bitte, um unseretwegen, mach eine geheime Religion daraus. Behalt sie für dich. Und fürchte dich nicht vor eingebildeten Feinden.»
«Aber meine Träume werden wahr.»
«Wenn du es sagst.»
«Anthony, mein ganzes Leben beweist die Existenz der Magie und auch, dass ich vorhersehen kann.»
«Nenn mir ein Beispiel.»
«Habe ich den König von England geheiratet oder nicht?»
«Habe ich dich auf der Straße stehen sehen wie eine Hure oder nicht?»
«So war es nicht!», rufe ich in sein triumphierendes Lachen. «Und überhaupt ist mein Ring aus dem Fluss zu mir gekommen!»
Er nimmt meine Hände und küsst sie. «Das ist alles Unsinn», sagt er zärtlich. «Es gibt keine Melusine, sondernnur eine alte, halbvergessene Geschichte, die Mutter uns abends am Bett erzählt hat. Es gibt keine Zauberei. Mutter wollte dir nur Mut machen.
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