Die Königin der Weißen Rose
wem ich als unserem Freund vertraue, doch ich kann mir nicht sicher sein. Mein Wink – dass wenigstens mein Sohn Richard in Sicherheit außerhalb der Mauern des Towers ist – sollte jedem Mörder Einhalt gebieten. Ich hoffe, dass ich damit etwas Zeit geschunden habe.
Meine Brüder mustern in den südlichen Grafschaften Männer an. Am Nachmittag schreibe ich ihnen, um sie vor diesen Verwicklungen zu warnen, die wie eine Schlange aus unserem Plan schlüpfen könnte. Ich schreibe ihnen, dass unser Feind Richard noch immer unser Feind ist, dass es aber sein könnte, dass unsere Verbündeten die viel größere Gefahr darstellen. Ich schicke Boten aus, obwohl ich unsicher bin, ob sie meine Brüder je erreichen werden, und wenn ja, ob sie es rechtzeitig schaffen. Ich schreibe ihnen ganz deutlich:
Ich glaube jetzt, dass die Sicherheit meines Sohnes und meiner eigenen Person davon abhängt, dass der Duke of Buckingham und sein Verbündeter Henry Tudor London nicht erreichen. Richard ist ein Thronräuber und unser Feind, doch glaube ich, wenn Buckingham und Tudor siegreich in London einmarschieren, dann als unsere Mörder. Ihr müsst Buckinghams Vormarsch aufhalten. Was auch immer Ihr tut, Ihr müsst vor ihm und Henry Tudor am Tower sein und unsere Jungen retten.
In der Nacht stehe ich am Fenster über dem Fluss und lausche. Elizabeth öffnet die Tür des Zimmers, in dem die Mädchen schlafen, und tritt hinter mich; ihr junges Gesicht ist ganz ernst.
«Was ist los, Mutter?», fragt sie mich. «Bitte sag es mir. Du hast dich den ganzen Tag eingeschlossen. Hast du schlechte Nachrichten erhalten?»
«Ja», antworte ich. «Sag mir, hast du den Fluss singen hören, wie in der Nacht, als Anthony und mein Sohn Richard Grey gestorben sind?»
Sie weicht meinem Blick aus.
«Elizabeth?»
«Nicht wie in der Nacht.»
«Aber du hast etwas gehört?»
«Kaum wahrnehmbar», gesteht sie. «Ein sanftes, leises Singen, wie ein Wiegenlied, ein Wehklagen. Hast du nichts gehört?»
Ich schüttele den Kopf. «Nein, aber ich habe große Angst um Edward.»
Sie legt ihre Hand auf meine. «Ist mein armer Bruder erneut in Gefahr, jetzt noch?»
«Ja, ich glaube schon. Ich glaube, der Duke of Buckingham wendet sich gegen uns, wenn er diese Schlacht gegen den falschen König Richard gewinnt. Ich habe deinen Onkeln geschrieben, aber ich weiß nicht, ob sie ihn aufhalten können. Der Duke of Buckingham hat eine große Armee. Er marschiert am Severn entlang durch Wales und kommt dann nach England herüber, und ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich weiß nicht, was ich von hier aus tun kann, um meinen Sohn vor ihm zu schützen, um uns alle vor ihm zu schützen. Wir müssen dafür sorgen, dass er nicht nach London kommt. Wenn ich ihn in Wales in die Falle locken könnte, dann würde ich es tun.»
Nachdenklich blickt sie aus dem Fenster. Die feuchte Luft vom Fluss dringt in das stickige Zimmer. «Ich wünschte, es würde regnen», sagt sie langsam. «Es ist so heiß. Ich wünsche mir so sehr, dass es regnet.»
Eine kühle Brise wispert in den Raum herein, wie eine Antwort auf ihren Wunsch, dann folgt das Plitsch, Platsch der Regentropfen auf den Bleiverglasungen der offenen Fenster. Elizabeth öffnet das Fenster weit, sodass sie den Himmel und die dunklen Wolken sehen kann, die vom Flusstal herübergeweht kommen.
Ich trete neben sie. Ich sehe den Regen auf den dunklen Fluss fallen, dicke Tropfen, die erste Kreise ziehen, wie Blasen, die von einem Fisch aufsteigen, dann fallen sie in immer größerer Zahl, bis die seidene Oberfläche des Flusses ganz gesprenkelt ist. Ein heftiger Sturm zieht auf, wir sehen nichts mehr, nur herabstürzendes Wasser, als hätten sich über England sämtliche Himmelsschleusen aufgetan. Wir lachen und schließen das Fenster gegen den Sturm, von unseren Gesichtern und Armen rinnt Wasser, bevor wir den Haken einklinken können. Dann gehen wir in die anderen Räume, schließen Fenster und Läden gegen das Wasser, das draußen herunterstürzt, als ergössen sich all mein Kummer und all meine Sorgen in einem Tränenfluss über England.
«Dieser Regen bringt Hochwasser», sage ich voraus, und meine Tochter nickt still.
Es regnet die ganze Nacht. Elizabeth schläft in meinem Bett wie früher als Kind, und wir liegen trocken und warm. Wir lauschen dem beständigen Prasseln des Regens gegen die Fenster und dem Platschen der Tropfen auf dem Fluss. Dann laufen die Dachrinnen über, und das Wasser ergießt sich in
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