Die Königin der Weißen Rose
verspielten Kaskaden vom Dach. Wir schlafen ein wie zwei Wassergöttinnen, eingelullt vom herabströmenden Regen und dem ansteigenden Flusspegel.
Als wir am Morgen aufwachen, ist es fast so dunkel wie in der Nacht, und es regnet immer noch. Der Fluss führt Hochwasser. Elizabeth war schon unten an der Pforte und erzählt mir, dass die Themse über die Stufen steigt. Auf dem Fluss sind alle Boote gegen das Wetter verschalkt worden, nur eine Handvoll Jollen pendelt noch mit Handelswaren, die Ruderer bücken sich tief und haben Säcke über den Köpfen, die vor Nässe glänzen. Die Mädchen verbringen den Vormittag an den Fenstern und beobachten die vorbeiziehenden Boote. Sie fahren viel höher als sonst, der Fluss steigt immer weiter und beginnt über die Ufer zu treten, und schließlich werden auch die kleinen Boote vertäut oder hochgehievt. Im Hochwasser des Flusses bilden sich reißende Strudel. Wir entfachen an diesem stürmischen Tag, an dem es dunkel und nass ist wie im November, ein Feuer. Ich spiele mit den Mädchen Karten und lasse sie gewinnen. Wie gut mir das Prasseln dieses Regens tut!
Elizabeth und ich schlafen Arm in Arm, wir lauschen dem Wasser, das vom Dach der Abtei stürzt und auf das Pflaster niedergeht. In den frühen Morgenstunden werde ich von einem Tropfen geweckt, das Schieferdach ist nicht dicht. Ich stehe auf, schüre das Feuer und stelle einen Topf unter das Loch. Elizabeth öffnet den Fensterladen und sagt, es regne immer noch so heftig wie zuvor und es sehe so aus, als würde es den ganzen Tag weiterregnen.
Die Mädchen spielen Arche Noah, die Geschichte liest ihnen Elizabeth aus der Bibel vor. Aus ihren Spielsachen und grobgefüllten Kissen, die als Tierpaare dienen, stellen sie einen Zug zusammen. Zwischen die Beine meines umgedrehten Tisches haben sie Laken gespannt – fertig ist die Arche. Ich erlaube ihnen, das Abendbrot in der Arche zu essen, und versichere ihnen vor dem Schlafengehen, dass die Sintflut schon lange zurückliegt und Gottuns keine weitere schicken wird, nicht einmal als Strafe für Bosheit. Dieser Regen hält nur gefährliche Männer in ihren Häusern fest, wo sie niemandem schaden können. Diese Flut hält die gefährlichen Männer von London fern, und wir sind in Sicherheit.
Elizabeth schenkt mir ein kleines Lächeln, und nachdem die Mädchen ins Bett gegangen sind, geht sie wieder mit einer Kerze in die Katakomben, um nachzusehen, wie hoch der Fluss gestiegen ist.
Sie sagt, er führe mehr Wasser als je zuvor. Sie glaubt, er wird den Korridor zu den Stufen überschwemmen, das ist ein Anstieg von einigen Fuß. Wenn es nicht aufhört zu regnen, wird das Wasser noch höher steigen. Wir sind nicht in Gefahr, zwei weitere Treppen trennen uns vom unteren Gang, aber die armen Leute, die am Flussufer leben, werden ihre wenigen Habseligkeiten packen und ihre Häuser dem Fluss überlassen müssen.
Am nächsten Morgen kommt Jemma zu uns, das Kleid hochgebunden, matschbeschmiert bis zu den Knien. Die Straßen der tiefliegenden Viertel sind überflutet, und erste Geschichten von weggeschwemmten Häusern machen die Runde. Weiter oben am Fluss sollen Brücken zerstört und ganze Dörfer von der Umwelt abgeschnitten worden sein. Niemand hat je im September einen solchen Regen erlebt, und er hört noch immer nicht auf. Jemma sagt, auf dem Markt gibt es nichts Frisches mehr, weil die Straßen weggespült sind und die Bauern ihr Obst und Gemüse nicht liefern können. Der Brotpreis steigt, weil es zu wenig Mehl gibt. Außerdem gelingt es manchen Bäckern nicht, in ihren Öfen Feuer anzuzünden, weil sie nur noch nasses Feuerholz haben. Jemma sagt, sie will die Nacht bei uns verbringen – sie hat Angst, durch die überfluteten Straßen nach Hause zu gehen.
Am nächsten Morgen regnet es noch immer, und die Mädchen, die wieder am Fenster stehen, wissen Merkwürdiges zu berichten. Eine ertrunkene Kuh, die am Fenster vorbeitreibt, ängstigt Bridget, ein Fuhrwerk schwimmt kopfüber vorbei. Rollende Baumstämme treiben in den Fluten, und mehr als einmal hören wir irgendetwas dumpf gegen die Stufen schlagen. Der Korridor zur Themsepforte der Abtei ist jetzt tatsächlich nur noch eine Pforte zum Wasser. Wir können kaum noch etwas von dem Eisengitter sehen – und nur einen schmalen Streifen Tageslicht. Der Fluss muss rund zehn Fuß gestiegen sein, das Hochwasser wird sich in die Katakomben ergießen und die schlafenden Toten waschen.
Ich halte nicht nach einem Boten meiner Brüder
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