Die Königin der Weißen Rose
– allerdings nur, wenn meine Söhne tot sind. Sein Anspruch ist nichtig, solange meine Söhne leben. Wenn Richards kränklicher Sohn stirbt, Richard in der Schlacht fällt und Buckingham die siegreiche Rebellion anführt, dann könnte Buckingham sich der Krone bemächtigen. Niemand würde bestreiten, dass er der nächste Erbe ist – vor allem, wenn alle wüssten, dass meine Söhne tot sind. Dann würde Buckingham dasselbe tun, was mein Edward getan hat, als er die Krone für sich beanspruchte und es im Tower noch einenRivalen mit einem Anspruch gab. Als mein Edward in London an der Spitze einer siegreichen Armee einmarschierte, ging er mit seinen Brüdern schnurstracks in den Tower von London, wo der wahre König als Gefangener gehalten wurde. Sie haben ihn getötet, obwohl Henry nicht mehr Kraft besaß als ein unschuldiger Junge. Wenn der Duke of Buckingham Richard besiegt, marschiert er unter dem Vorwand, die Wahrheit über meine Söhne in Erfahrung bringen zu wollen, in den Tower. Dann wird es eine Pause geben, lange genug, dass den Leuten die Gerüchte wieder einfallen und sie Angst bekommen, und Buckingham wird herauskommen, ein tragisches Gesicht aufsetzen und behaupten, er habe meine Söhne tot aufgefunden, unter einer Bodenplatte verscharrt oder in einem Schrank versteckt, ermordet von ihrem bösen Onkel Richard. Das ist der wahre Grund für das Gerücht, das er selbst in Umlauf gebracht hat. Er wird behaupten, sie seien tot, wird sich den Thron nehmen, und es wird niemand mehr leben, der ihn ihm streitig machen könnte.
Buckingham ist der Konstabler Englands. In diesem Augenblick hält er die Schlüssel zum Tower in der Hand.
Ich kaue auf meinem Finger und bleibe am Fenster stehen. So viel zu Buckingham. Und jetzt zu meiner großen Freundin Margaret Stanley und ihrem Sohn Henry Tudor. Sie sind die Erben des Hauses Lancaster; Margaret findet womöglich, es sei an der Zeit, dass England wieder dem Hause Lancaster folgt. Sie muss sich mit Buckingham und meinen Anhängern verbünden; der junge Tudor wird nicht genügend ausländische Rekruten herbringen, um Richard auf eigene Faust zu besiegen. Er hat sein Leben im Exil verbracht: Dies ist seine Chance, nach England zurückzukehren, und zwar als König. Sie wäre eine Närrin, eine Rebellion gegen Richard zu riskieren, wenn es um etwasGeringeres ginge als den Thron. Ihr neuer Gemahl ist einer der wichtigsten Verbündeten Richards, ihre Stellung am Hofe ist gut. Sie hat mit Richard eine sichere Rückkehr nach England für ihren Sohn und seine Vergebung ausgehandelt. Er hat ihr gestattet, ihrem Sohn als ihrem Erben alle Ländereien zu überschreiben. Würde sie all dies aufs Spiel setzen für das Vergnügen, meinen Sohn auf dem Thron zu sehen, allein um mir einen Gefallen zu erweisen? Warum sollte sie? Warum sollte sie ein solches Risiko eingehen? Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass sie für ihren eigenen Sohn arbeitet? Buckingham und sie bereiten das Land gemeinsam darauf vor, dass meine Söhne tot sind, von Richard ermordet.
Ist Henry Tudor so hartherzig, als erklärter Retter in den Tower zu stürmen, zwei Jungen zu erdrosseln und mit der schrecklichen Nachricht herauszukommen, dass die Prinzen, für die er so tapfer gekämpft hat, tot sind? Könnten er und sein großer Freund und Verbündeter das Königreich untereinander aufteilen: Henry Tudor auf seinen Lehensgütern in Wales und Buckingham im Norden? Was, wenn Buckingham in der Schlacht fiele, wäre dann nicht Henry der unangefochtene Thronerbe? Würde seine Mutter ihre Diener in den Tower schicken, nicht um meinen Jungen zu retten, sondern um ihn im Schlaf zu ersticken? Könnte sie eine solche Tat beauftragen, so heilig, wie sie ist? Würde sie für ihren Sohn alles billigend in Kauf nehmen, selbst den Tod meines Sohnes? Ich weiß es nicht. Ich kann es nicht wissen. Mit Sicherheit weiß ich nur, dass der Herzog von Buckingham und Lady Margaret – während sie losmarschieren, um für die Prinzen zu kämpfen – das Gerücht verbreiten, die Prinzen seien bereits tot. Ja, ihr Verbündeter lässt sogar durchsickern, die beiden Jungen seien im Bett getötet worden. Der Einzige,der die Welt nicht darauf vorbereitet, ihren Tod zu betrauern, ist der, den ich für meinen Todfeind halte: Richard of Gloucester.
Ich brauche den ganzen Tag, um darüber nachzudenken, und selbst am Abend bin ich mir meiner Sache nicht sicher. Das Leben meines Sohnes kann davon abhängen, wen ich als unseren Feind erkenne und
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