Die Königin der Weißen Rose
vorkommt, als seien Regen und Lanzen ein und dasselbe. Dass ihr Feind wie Wasser ist, vor dem es kein Entrinnen gibt, das gnadenlos auf sie herunterprasselt und niemals enden wird.
Buckingham gelingt es nicht, Boten tiefer nach Wales hineinzuschicken, um die tudortreuen Waliser ausfindig zu machen. Seine Kundschafter werden abgestochen, sobald sie außer Sichtweite sind. Seine Armee wächst nicht, wie Lady Margaret es ihm versprochen hat. Stattdessen laufen ihm die Männer weg, Nacht für Nacht, bei jedem Halt und selbst am helllichten Tag mitten auf der Landstraße. Sie sagen, er sei ein glückloser Heerführer, dessen Feldzug weggeschwemmt werde. Jedes Mal, wenn sich die Männer zur Marschformation aufstellen, sind es weniger; Buckingham sieht deutlich, dass sich die Reihe auf derüberschwemmten Straße nicht mehr so lang hinzieht. Wenn er an ihnen entlangreitet, um sie aufzumuntern und ihnen den Sieg zu versprechen, sehen sie ihm nicht mehr in die Augen. Sie halten die Köpfe gesenkt, als seien die zuversichtlichen Worte und der niederprasselnde Regen ohne jede Bedeutung.
Buckingham kann es nicht wissen, doch er vermutet, dass Henry Tudor, der Verbündete, dem er in den Rücken fallen will, genau wie er vor dem unaufhörlich fallenden Regen kapitulieren muss. Derselbe Sturm, der Buckinghams Armee in alle Winde zerstreut, hält ihn im Hafen gefangen. Henry Tudor hat fünftausend Söldner, eine gewaltige Streitmacht, eine unschlagbare Armee, bezahlt und bewaffnet vom Herzog der Bretagne – genug, um England im Alleingang einzunehmen. Er hat Ritter, Pferde, Kanonen und fünf Schiffe. Seine Mission kann nicht scheitern – außer durch Wind und Wetter. Die Schiffe schaukeln und gieren, sogar im Schutz des Hafens reißen sie an den Tauen. Die Männer, die für die kurze Überfahrt über die See darauf zusammengepfercht wurden, werden seekrank und müssen sich übergeben, ihnen ist im Frachtraum entsetzlich elend. Henry Tudor schreitet auf dem Deck auf und ab wie ein Löwe im Käfig, hält Ausschau, ob die Wolkendecke aufreißt, wartet darauf, dass der Wind sich dreht. Doch der Himmel ergießt sich mitleidlos auf sein kupferrotes Haupt. Am Horizont stehen schwarz die Regenwolken, der Wind ist auflandig, immer auflandig, und drückt die rüttelnden Schiffe gegen die Kaimauern.
Er weiß, dass sein Schicksal auf der anderen Seite des Meeres entschieden wird. Sollte Buckingham Richard ohne ihn besiegen, ist der Thron für ihn verloren. Dann nimmt ein Thronräuber den Platz des anderen ein, und Tudor ist noch immer im Exil. Er muss in der Schlacht mitkämpfenund den Sieger töten. Er müsste auf der Stelle Segel setzen, aber es geht nicht: Es gießt in Strömen. Er sitzt fest.
Buckingham weiß das nicht, er weiß gar nichts mehr. Sein Leben ist auf diesen einen langen Marsch im strömenden Regen zusammengeschrumpft, und jedes Mal, wenn er einen Blick über die Schulter wirft, folgen ihm weniger Männer. Sie sind erschöpft, sie haben seit Tagen nichts Warmes mehr gegessen, sie stolpern durch knietiefen Matsch, und wenn er zu ihnen sagt: «Bald sind wir am Übertritt nach England, auf trockenem Land, Gott sei gedankt», dann nicken sie, doch sie glauben ihm kein Wort.
Die Straße beschreibt eine Biegung. Dahinter muss die Furt durch den Severn liegen, wo das Wasser für die nach England einmarschierende Armee flach genug ist. Jenseits des Flusses will die Armee sich endlich dem Feind stellen und nicht den Elementen. Jeder kennt diesen Übergang – Buckingham hat ihn schon vor Meilen angekündigt. In der Furt ist das Flussbett fest und steinig, wie eine Straße, und das Wasser kaum eine Handbreit tief. Seit Jahrhunderten überqueren die Menschen auf dem Weg von Wales hier den Fluss; es ist die Einfallschleuse nach England. Am walisischen Flussufer liegt ein Gasthaus und am englischen ein kleines Dorf. Sie rechnen mit einer überschwemmten Furt, mit einem Fluss, der Hochwasser führt. Vielleicht liegen sogar Sandsäcke auf den Stufen zum Gasthaus, doch als sie das Brausen des Wassers hören, kommt die Armee zum Stehen wie ein Mann, starr vor Schreck.
Es gibt keine Furt mehr. Es gibt auch weit und breit kein Land mehr. Das walisische Gasthaus steht unter Wasser, das Dorf auf der anderen Seite ist gänzlich verschwunden. Es gibt nicht einmal einen Fluss, er ist so weit über die Ufer getreten, dass er zum See geworden ist, zur Wasserwüste.Sie können auf der anderen Seite kein Land ausmachen, keinen Flussoberlauf und
Weitere Kostenlose Bücher