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Die Königin der Weißen Rose

Die Königin der Weißen Rose

Titel: Die Königin der Weißen Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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keinen Flussunterlauf. Das ist kein Fluss mehr, sondern ein Binnenmeer mit eigenen Wellen und Stürmen. Das Wasser hat das Land eingenommen, hat es verschlungen, als sei es nie da gewesen. Dies ist weder England noch Wales, dies ist Wasser, triumphierendes Wasser. Das Wasser hat alles an sich gerissen, und kein Mensch kann ihm trotzen.
    Niemand kann es überqueren. Sie suchen vergeblich nach bekannten Orientierungspunkten, nach dem Weg, der über den Fluss führte, aber er liegt tief unter Wasser. Einer von ihnen meint, im Wasser etwas gesehen zu haben. Mit Schaudern erkennen sie Baumkronen. Der Fluss hat einen Wald ertränkt, die Bäume von Wales rudern wild nach Luft. Die Welt ist nicht mehr, wie sie war. Die Armeen können nicht aufeinandertreffen, das Wasser ist zwischen sie getreten und hat alles erobert. Buckinghams Aufstand ist vorbei.
    Buckingham sagt kein Wort; er gibt keinen Befehl. Er macht eine kleine Geste mit der Hand, wie jemand, der aufgibt, ein Winken mit geöffneter Handfläche – nicht zu seinen Männern hin, sondern zu der Flut, die ihn geschlagen hat. Als gestehe er der Flut, der Macht des Wassers, den Sieg zu. Er wendet sein Pferd und reitet fort von den ausgedehnten, aufgewühlten, wässrigen Tiefen. Und seine Männer lassen ihn ziehen. Sie wissen, dass es vorbei ist. Sie wissen, dass die Rebellion beendet ist, niedergeschlagen von den englischen Gewässern, die angeschwollen sind, als habe die Göttin des Wassers sie herbeigerufen.

NOVEMBER 1483
    Es ist dunkel, fast elf Uhr. Ich knie betend am Fuß meines Bettes vor dem Schlafengehen, da vernehme ich ein sanftes Klopfen an der großen Außentür. Mein Herz macht einen Sprung, denn ich denke sofort an meinen Sohn Edward, an meinen Sohn Richard, ich denke sofort, dass sie zu mir nach Hause zurückkehren. Ich stehe auf, werfe einen Umhang über mein Nachthemd, ziehe mir die Kapuze über und eile zur Tür.
    Jetzt ist alles still auf den Straßen, die den ganzen Tag gesummt haben von all den endlosen Gesprächen über König Richards Rückkehr nach London und wie er sich wohl an den Rebellen rächen wird, ob er das Asyl brechen und gegen mich vorgehen wird, jetzt, da er den Beweis dafür hat, dass ich das Land gegen ihn aufgebracht habe. Er weiß das, und er kennt die Verbündeten, die ich ausgewählt habe: Lady Margaret und den falschen Duke of Buckingham.
    Niemand kann mir sagen, ob meine Verwandten in Sicherheit sind, gefangen oder tot: meine drei geliebten Brüder und mein Sohn Thomas Grey, die sich in Hampshire und Kent den Rebellen angeschlossen haben. Ich höre alle möglichen Gerüchte: dass sie davongeritten sind, um sich in der Bretagne Henry Tudor anzuschließen, dass sie tot auf dem Feld liegen oder von Richard hingerichtetwurden, dass sie übergelaufen sind und sich ihm angeschlossen haben. Ich muss – wie alle anderen im Land – auf verlässliche Nachrichten warten.
    Die Regenfluten haben Straßen weggeschwemmt, Brücken mitgerissen und ganze Städte abgeschnitten. Neuigkeiten erreichen London als aufgeregter Wortschwall, niemand kann sicher sein, was wahr ist und was nicht. Aber Sturm und Regen haben sich jetzt gelegt. Wenn die Flüsse wieder normal fließen, werde ich Nachrichten über meine Familie und ihre Kämpfe bekommen. Ich bete, dass sie weit weg von England sind. Im Falle einer Niederlage wollten wir zu Edwards Schwester Margaret nach Burgund fliehen, meinen Sohn Richard in seinem Zufluchtsort aufsuchen und den Krieg vom Kontinent aus weiterführen. König Richard wird das Land mit der harten Hand des Tyrannen regieren, dessen bin ich mir sicher.
    Es klopft erneut an der Tür, und jemand rüttelt an der Klinke. Das ist kein verängstigter Ausreißer, nicht mein Sohn. Ich gehe zu dem großen Holzportal, schiebe das Pförtnergitter zur Seite und sehe hinaus. Es ist ein Mann von meiner Größe, das Gesicht unter einer Kapuze verborgen.
    «Ja?», sage ich kurz.
    «Ich muss die Königinwitwe sehen», flüstert er. «Ich habe eine Nachricht von großer Wichtigkeit.»
    «Ich bin die Königinwitwe», sage ich. «Gib mir deine Nachricht.»
    Er blickt nach rechts und links. «Schwester, lass mich herein», sagt er.
    Nicht einen Moment lang glaube ich, dass er einer meiner Brüder ist. «Ich bin nicht deine Schwester. Was bildest du dir ein?»
    Er streift die Kapuze vom Kopf und hebt die Fackel an,sodass ich sein dunkles, gutaussehendes Gesicht erkennen kann. Es ist nicht mein Bruder, es ist Richard, mein Schwager und Feind. «Ich

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