Die Königin der Weißen Rose
hätte es den anderen erzählt. Ich habe sie zu Bastarden erklärt und dich entehrt. Deine Söhne sind genauso wenig eine Bedrohung für mich wie deine Brüder – geschlagene Männer.»
«Du hast meinen Bruder Anthony getötet», spucke ich ihm vor die Füße.
«Er war eine Bedrohung für mich», erwidert Richard. «Anthony hätte eine Armee aufbringen können, und er wusste, wie man Männer anführt. Er war ein besserer Soldatals ich. Das sind deine Söhne nicht. Auch deine Töchter nicht. Sie bedrohen mich nicht. Ich bedrohe sie nicht. Ich töte sie nicht.»
«Wo sind sie dann?», jammere ich. «Wo ist mein Sohn Edward?»
«Ich weiß nicht einmal, ob sie noch leben oder tot sind», sagt er kläglich. «Ich weiß nicht, wer ihren Tod oder ihre Gefangenschaft angeordnet hat. Ich dachte, du hättest sie vielleicht herausgeschmuggelt. Deswegen bin ich hergekommen. Wenn du es nicht warst, wer dann? Hast du irgendjemandem erlaubt, sie mitzunehmen? Könnte irgendjemand sie ohne dein Wissen zu sich genommen haben? Um sie als Geiseln zu halten?»
Ich schüttele den Kopf, ich kann nicht denken. Es ist die schwerwiegendste Frage, die ich mir in meinem ganzen Leben stellen muss, und ich bin wie benommen vor Kummer. «Ich kann nicht denken», sage ich verzweifelt.
«Versuch es», insistiert er. «Du kennst deine Verbündeten, deine heimlichen Freunde. Meine versteckten Feinde. Du weißt, wozu sie fähig sind. Du weißt, was sie dir versprochen haben, was für Ränke du mit ihnen geschmiedet hast. Denk nach!»
Ich lege die Hände an den Kopf und gehe ein paar Schritte auf und ab. Vielleicht lügt Richard, und er hat Edward und den armen kleinen Pagen getötet, vielleicht ist er jetzt hier, um anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben. Dagegen spricht – wie er sagt –, dass er keinen Grund dazu hat. Außerdem: Warum soll er es nicht zugeben und schamlos hinausposaunen? Wer sollte sich darüber beklagen, jetzt, wo er die Rebellion niedergeschlagen hat? Warum kommt er hierher zu mir? Als mein Gemahl König Henry ermordet hat, hat er dessen Leichnam zur Schau gestellt. Er hat ihm ein stattlichesBegräbnis ausgerichtet. Der Zweck seiner Ermordung war ja gerade, der ganzen Welt zu zeigen, dass Henrys Linie zu Ende war. Wenn Richard meine Söhne getötet hätte, um Edwards Linie zu beenden, dann hätte er es verkündet, jetzt, da er siegreich nach London zurückgekehrt ist. Er hätte mir ihre Leichen zur Bestattung gebracht. Er hätte behaupten können, sie seien krank geworden. Noch besser, er hätte sagen können, Buckingham hätte sie getötet. Er hätte Buckingham die Schuld in die Schuhe schieben und ihnen ein königliches Begräbnis geben können, und niemand hätte etwas anderes tun können, als sie zu betrauern.
Also hat der Duke of Buckingham sie vielleicht wirklich töten lassen. Ist das die Wahrheit hinter seinen Gerüchten über ihre Ermordung? Mit dem Tod der zwei Jungen ist er dem Thron zwei Schritte näher. Oder hat Lady Margaret sie töten lassen, um ihrem Sohn Henry Tudor den Weg zu ebnen? Ihr Tod würde Tudor und Buckingham gleichermaßen nützen, denn sie sind die nächsten Erben. Könnte Lady Margaret den Tod meiner Söhne angeordnet haben und doch so tun, als sei sie meine Freundin? Könnte sie das mit ihrem Gewissen vereinbaren? Könnte Buckingham seine Neffen töten, obwohl er geschworen hat, sie zu befreien?
«Hast du nach ihren Leichen gesucht?», frage ich ihn sehr leise.
«Ich habe den Tower auf den Kopf gestellt und ihre Diener befragen lassen. Sie sagen, sie hätten sie eines Abends zu Bett gebracht, und am anderen Morgen seien sie verschwunden gewesen.»
«Das sind
deine
Diener!», bricht es aus mir hervor. «Sie gehorchen deinen Befehlen. Meine Söhne sind in deinem Gewahrsam gestorben. Erwartest du wirklich, dass ich dirglaube, du hättest nichts mit ihrem Tod zu tun? Erwartest du, dass ich dir glaube, sie wären verschwunden?»
Er nickt. «Du musst mir glauben, dass sie gestorben sind oder weggeschafft wurden, ohne meinen Befehl, ohne mein Wissen und ohne meine Einwilligung, während ich weit weg war und mich auf die Schlacht vorbereitet habe. Gegen deine Brüder, um genau zu sein. Eines Nachts.»
«In welcher?», frage ich.
«In der Nacht, da es zu regnen begann.»
Ich nicke und denke an die leise Stimme, die Elizabeth ein Schlaflied sang, so leise, dass ich es nicht einmal hören konnte. «Oh, in
der
Nacht.»
Er zögert. «Glaubst du mir, dass ich keine Schuld an ihrem Tod
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