Die Königin der Weißen Rose
habe?»
Ich sehe ihm in die Augen, dem Mann, den mein Gemahl geliebt hat, seinem Bruder. Dem Mann, der neben ihm für meine Familie und meine Söhne gekämpft hat. Der meinen Bruder und meinen Sohn Richard Grey getötet hat. Der meinen königlichen Sohn Edward getötet haben könnte. «Nein», sage ich kalt. «Ich glaube dir nicht. Ich vertraue dir nicht. Aber ich bin mir nicht sicher. Ich bin entsetzlich unsicher in allem.»
Er nickt, als akzeptierte er ein ungerechtes Urteil. «Genauso geht es mir auch», bemerkt er, fast nebenbei. «Ich weiß nichts mehr, ich traue niemandem mehr. Die Gewissheit haben wir in diesen ewigen Schlachten getötet, und was bleibt, ist Misstrauen.»
«Was hast du jetzt vor?», frage ich ihn.
«Ich werde nichts tun, nichts sagen», entscheidet er niedergeschlagen und erschöpft. «Niemand wird es wagen, mich direkt zu fragen, auch wenn alle mich verdächtigen. Ich werde nichts sagen und die Leute denken lassen, was sie wollen. Ich weiß nicht, was aus deinen Jungen gewordenist, aber das wird mir niemand jemals glauben. Wenn ich sie lebend gefunden hätte, könnte ich sie vorzeigen und meine Unschuld beweisen. Wenn ich ihre Leichen gefunden hätte, hätte ich sie hergezeigt und die Schuld auf Buckingham geschoben. Aber ich habe sie nicht gefunden, weder tot noch lebendig, und deswegen kann ich mich nicht verteidigen. Alle werden glauben, dass ich zwei mir anvertraute Jungen getötet habe, kaltherzig, ohne guten Grund. Sie werden mich ein Monster nennen.» Er macht eine Pause. «Was auch immer ich sonst im Leben tun werde, dies wird einen Schatten darauf werfen. Alles, was man von mir in Erinnerung behalten wird, ist dieses Verbrechen.» Er schüttelt den Kopf. «Dabei habe ich es nicht getan, und ich weiß nicht, wer es getan hat oder ob es überhaupt verübt wurde.»
Er macht eine Pause. «Was wirst
du
tun?», fragt er mich, als fiele ihm das gerade erst ein.
«Ich?»
«Du bist ins Asyl gegangen, um deine Töchter in Sicherheit zu bringen, als du ihre Brüder durch mich in Gefahr wähntest», erinnert er mich. «Jetzt ist das Schlimmste geschehen, ihre Brüder sind fort. Was hast du mit den Mädchen vor, mit dir selbst? Es gibt keinen Grund mehr, im Asyl zu bleiben. Ihr seid nicht mehr die königliche Familie mit einem Erben, der einen Thronanspruch erheben könnte. Du bist nur noch die Mutter von Mädchen.»
Als er das sagt, trifft mich unvermittelt Edwards Verlust. Ich stöhne auf, und mein Unterleib krampft sich zusammen, als durchlebte ich von Neuem die Schmerzen seiner Geburt. Ich gehe auf dem Steinboden in die Knie und krümme mich vor Schmerzen. Ich stöhne und wiege mich hin und her.
Er eilt nicht näher, um mich zu trösten oder um mirauf die Füße zu helfen. Er bleibt auf seinem Stuhl sitzen, das dunkle Haupt in die Hand gestützt, und sieht mir zu. Ich wehklage wie eine Bauersfrau über den Tod ihres erstgeborenen Sohnes. Er sagt nichts, um mich in meinem Kummer zu trösten oder ihn zu leugnen. Er lässt mich weinen. Lange sitzt er neben mir und lässt mich weinen.
Nach einer Weile reibe ich mir mit dem Saum meines Umhangs mein nasses Gesicht ab, dann setze ich mich auf meine Fersen und sehe ihn an.
«Es tut mir leid um deinen Verlust», sagt er förmlich, als würde ich nicht auf dem Boden knien, mit aufgelöstem Haar und tränennassem Gesicht. «Ich habe es weder befohlen noch selbst getan. Ich habe den Thron genommen, ohne einem von ihnen ein Haar zu krümmen. Danach brauchte ich ihnen nichts mehr anzutun. Sie waren Edwards Söhne. Ich habe sie um seinetwillen geliebt. Und Gott weiß, dass ich ihn geliebt habe.»
«Das immerhin weiß auch ich», sage ich so förmlich wie er.
Er steht auf. «Wirst du das Asyl jetzt verlassen?», fragt er. «Du kannst nichts gewinnen, wenn du hierbleibst.»
«Ich kann nichts gewinnen», pflichte ich ihm bei. «Nichts.»
«Wir beide werden uns einigen», sagt er. «Ich verspreche dir Sicherheit und dass ich deine Mädchen gut behandele, wenn du herauskommst. Die Älteren dürfen an den Hof kommen. Ich werde sie ehrenvoll als meine Nichten behandeln. Du kannst sie begleiten. Ich sorge dafür, dass sie mit guten Männern verheiratet werden, die deine Zustimmung finden.»
«Ich möchte nach Hause gehen», sage ich. «Und sie mitnehmen.»
Er schüttelt den Kopf. «Es tut mir leid, aber das kannich nicht erlauben. Deine Töchter kommen zu mir an den Hof, und du kannst eine Weile in Heytesbury leben, unter dem Schutz von Sir John
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