Die Königin der Weißen Rose
zu überzeugen, dass Edward nie König gewesen ist. Einige sagen, Edward habe die Wahl – zugunsten seines Bruders abzudanken oder das Schafott zu besteigen. Warwick wird ihn entweder um die Krone oder um den Kopf bringen. Einige sagen, es sei nur noch eine Sache von Tagen, bevor wir die Nachricht erhalten, dass Edward vom Thron gestürzt und nach Burgund geflohen oder tot ist. Statt echter Nachrichten muss ich mir solche Gerüchte anhören und frage mich, ob ich im selben Monat, in dem ich Vater und Bruder verloren habe, auch noch zur Witwe werde. Wie soll ich das ertragen?
In der zweiten Woche meiner Wache kommt meineMutter zu mir. Sie kommt aus unserem alten Haus in Grafton, tränenlos und seltsam gebeugt, als habe sie eine Wunde im Bauch und beuge sich über die Schmerzen. Sobald ich sie sehe, ist mir klar, dass ich ihr nicht mitteilen muss, dass sie verwitwet ist. Sie weiß schon, dass sie die Liebe ihres Lebens verloren hat. Ihre Hand liegt immerzu auf dem Knoten ihres Gürtels, als verberge sie eine tödliche Wunde. Sie weiß, dass ihr Gatte tot ist, aber niemand hat ihr gesagt, wie er gestorben ist und warum. Ich muss sie in mein privates Gemach führen und die Kinder aussperren, um Worte für den Tod ihres Gatten und ihres Sohnes zu finden. Es war ein schändlicher Tod für gute Männer, durch die Hand eines Verräters.
«Es tut mir so leid», beginne ich. Ich knie zu ihren Füßen und umklammere ihre Hand. «Es tut mir so leid, Mutter. Dafür wird Warwick mit seinem Kopf bezahlen. Dafür muss George sterben.»
Sie schüttelt den Kopf. Ich blicke zu ihr auf und sehe Falten in ihrem Gesicht, die vorher nicht da waren. Sie strahlt nicht mehr die gewohnte Zufriedenheit aus. Die Freude ist aus ihrem Gesicht gewichen und hat nur Spuren der Ermüdung hinterlassen.
«Nein», widerspricht sie. Sie streicht über mein geflochtenes Haar und sagt: «Schsch. Dein Vater hätte nicht gewollt, dass du trauerst. Er kannte die Risiken genau. Es war nicht seine erste Schlacht, Gott bewahre. Hier.» Aus ihrem Gewand zieht sie einen Brief. «Er schickt mir seinen Segen und versichert dich seiner Liebe. Er hat es geschrieben, als sie ihm sagten, dass er entlassen würde. Ich glaube, er wusste, was ihn erwartete.»
Die Handschrift meines Vaters ist klar und kühn wie seine Worte. Ich kann nicht glauben, dass ich ihn nie wieder sehen oder hören werde.
«Und John …», fährt sie mit gebrochener Stimme fort, «John ist ein Verlust für mich und für seine Generation. Er hatte noch sein ganzes Leben vor sich.»
Sie macht eine Pause. «Wenn du ein Kind großziehst und es zum Mann wird, dann denkst du, nun ist er sicher, und du bist vor Kummer gefeit. Wenn ein Kind alle Kinderkrankheiten durchgemacht hat, wenn die Pest kommt und sich die Kinder deiner Nachbarn holt und deinen Sohn am Leben lässt, wiegst du dich allmählich in Sicherheit. Jedes Jahr erscheint dir wie ein weiteres Jahr weg von der Gefahr, ein weiteres Jahr auf dem Weg zum Mann. Ich habe John, wie alle meine Kinder, atemlos vor Hoffnung großgezogen. Und wir haben ihn wegen ihres Titels und ihres Vermögens mit dieser alten Frau verheiratet, wir haben gelacht, weil wir wussten, dass er sie überleben würde. Für uns war es ein großer Spaß, weil er so ein junger Mann war und sie so eine alte Frau. Wir haben uns lustig gemacht über ihr Alter, weil wir wussten, dass sie dem Grab viel näher war als er. Und nun wird sie an seiner Beerdigung teilnehmen und kann ihr Vermögen behalten. Wie kann das sein?»
Sie seufzt, als sei ihr alles andere zu anstrengend. «Und doch hätte ich es wissen sollen. Ich vor allen anderen hätte es wissen sollen. Ich habe die Gabe, ich hätte es sehen sollen, aber manches ist zu dunkel, um vorhergesehen zu werden. Wir leben in harten Zeiten, und England ist ein Land voller Kummer. Keine Mutter ist davor gefeit, ihre Söhne begraben zu müssen. Wenn ein Land Krieg führt, Cousin gegen Cousin antritt und Bruder gegen Bruder, ist kein Junge sicher.»
Ich verlagere mein Gewicht auf die Absätze. «Auch des Königs Mutter, Herzogin Cecily, wird diesen Schmerz spüren. Eines Tages wird sie den Schmerz ertragen müssen,den du jetzt fühlst. Sie wird den Verlust ihres Sohnes George erleben», spucke ich aus. «Ich schwöre es. Sie wird ihn den Tod eines Lügners und Wendehalses sterben sehen. Du hast einen Sohn verloren, auch sie wird einen verlieren, mein Wort darauf.»
«Nach dieser Gesetzmäßigkeit wirst auch du einen
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