Die Königin der Weißen Rose
Edward ist mitten in diesem Sturm. Er war wie ein Diener gekleidet, wie ein armer Mann, er hatte nichts, nichts als die Kleider an seinem Leib. Er hatseinen Mantel weggegeben. Anthony war bei ihm, er hatte auch keinen Mantel mehr. William Hastings und Edwards Bruder Richard waren auch dabei. Das waren alle, die überlebt haben, alle, die fliehen konnten. Sie waren …» Ich schließe die Augen und versuche mich zu erinnern. «Sie haben uns verlassen, Mutter. Oh, Mutter, er hat England verlassen, er hat uns verlassen. Er ist verloren. Wir sind verloren. Edward ist fort, Anthony auch. Ich bin mir ganz sicher.»
Sie nimmt meine kalten Hände und reibt sie. «Vielleicht war es nur ein böser Traum», sagt sie. «Nur ein Traum. Schwangere haben seltsame Phantasien, lebhafte Träume, wenn die Zeit der Niederkunft näher rückt …»
Ich schüttele den Kopf und werfe die Decken von mir. «Nein. Ich bin mir ganz sicher. Es war mein sechster Sinn. Edward ist geschlagen. Er ist geflohen.»
«Glaubst du, er geht nach Flandern?», fragt sie. «Um Zuflucht bei seiner Schwester, der Herzogin Margaret, und Karl von Burgund zu suchen?»
Ich nicke. «Natürlich. Natürlich tut er das. Und er wird nach mir schicken, daran zweifle ich nicht. Er liebt mich, er liebt die Mädchen, und er hat geschworen, mich nie zu verlassen. Aber er ist fort, Mutter. Margarete von Anjou muss gelandet sein, und sie marschiert auf London zu, um Henry zu befreien. Wir müssen fort. Ich muss die Mädchen in Sicherheit bringen. Wir sollten nicht mehr hier sein, wenn ihre Armee einmarschiert. Wenn sie uns finden, werden sie uns bis an unser Lebensende einkerkern.»
Meine Mutter legt mir ein Tuch um die Schultern. «Bist du dir auch ganz sicher? Kannst du wirklich reisen? Soll ich eine Nachricht zum Hafen schicken, dass wir in See stechen?»
Ich zögere. Ich fürchte mich sehr vor der Reise, weilmein Kind bald zur Welt kommt. Ich denke an Isabel, die auf einem schaukelnden Schiff vor Schmerzen schrie, niemand bei ihr, der ihr bei der Geburt zur Seite stehen konnte, das Kind tot geboren, und es war nicht einmal ein Priester da, um es zu taufen. Ich kann dem nicht ins Auge sehen, wie sie es musste, während der Wind durch die Takelage heulte. Ich fürchte, der Sturm, den ich herbeigerufen habe, braust noch immer über die Meere, seine Tücke noch unbesänftigt vom Tod eines Ungeborenen, sucht er am Horizont nach schwankenden Segeln. Wenn er mich und meine Mädchen auf dem wogenden Meer entdeckt, werden wir ertrinken.
«Nein, das ertrage ich nicht. Ich wage es nicht. Ich habe zu viel Angst vor dem Wind. Wir gehen ins Asyl. Wir suchen Schutz in Westminster Abbey. Sie werden es nicht wagen, uns dort etwas anzutun. Dort sind wir sicher. Die Londoner lieben uns immer noch, und Königin Margarete würde niemals das Asyl brechen. Wenn König Henry bei Verstand ist, wird er nicht zulassen, dass sie das tut. Er glaubt an die Macht Gottes auf Erden. Er wird das Asyl achten und dafür sorgen, dass Warwick uns in Ruhe lässt. Wir nehmen die Mädchen und meine Grey-Söhne und gehen nach Westminster. Zumindest so lange, bis mein Sohn geboren ist.»
NOVEMBER 1470
Wenn ich früher von verzweifelten Männern hörte, die Kirchenasyl suchten, indem sie sich an den Ring des Kirchenportals klammerten und den Häschern höhnische Beschimpfungen an den Kopf warfen oder indem sie den Mittelgang hinaufliefen und mit der Hand den Hochaltar berührten, als würden sie Fangen spielen, dachte ich immer, sie müssten von Messwein und Hostien leben und in den Kirchenstühlen schlafen, den Kopf auf ein Betkissen gebettet. Wie sich herausstellt, ist es gar nicht so schlimm. Wir leben in der Krypta der Kirche, die auf dem St.-Margarets-Kirchhof erbaut wurde, innerhalb der Abtei. Es ist ein wenig, als wohnte man im Keller, aber von den kleinen Fenstern auf einer Seite des Raums können wir den Fluss sehen und durch das Türgitter auf der anderen Seite die Straße. Wir leben wie eine arme Familie, angewiesen auf das Wohlwollen von Edwards Unterstützern und der Bürger von London, die die Familie York weiterhin lieben, obwohl die Welt sich erneut gedreht hat, die Familie York sich verstecken muss und König Henry wieder zum König ausgerufen wurde.
Warwick, der Aufsteiger Warwick – der Mörder meines Vaters und meines Bruders und der Entführer meines Gatten –, zieht im Triumph in London ein, George, sein unglücklicher Schwiegersohn, an seiner Seite. Georgekönnte ein Spion
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