Die Königin der Weißen Rose
in ihren Reihen sein, insgeheim auf unserer Seite, er könnte aber auch von Neuem abtrünnig geworden sein und jetzt auf Brosamen vom königlichen Tisch der Lancaster hoffen. Jedenfalls schickt er mir weder eine Nachricht, noch tut er sonst etwas, um für meine Sicherheit zu sorgen. Er treibt im Kielwasser des Königsmachers, als hätte er keinen Bruder und keine Schwägerin. Vielleicht hofft er immer noch auf eine Gelegenheit, selbst König zu werden.
Warwick holt seinen alten Feind König Henry im Triumph aus dem Tower und erklärt, er sei gänzlich wiederhergestellt und in der Lage zu regieren. Er ist jetzt der Befreier seines Königs und der Retter des Hauses Lancaster, und im ganzen Land herrscht Freude. König Henry ist ganz durcheinander ob dieser Wende der Ereignisse, doch sie erklären ihm jeden Tag langsam und freundlich, dass er wieder König und sein Cousin Edward of York fort ist. Sie erzählen ihm womöglich sogar, dass wir, Edwards Familie, uns in Westminster Abbey verstecken, denn er befiehlt – oder sie befehlen in seinem Namen –, dass das Asyl des heiligen Ortes zu achten ist. Wir sind in unserem selbstgewählten Gefängnis sicher.
Jeden Tag schicken die Metzger uns Fleisch, die Bäcker Brot, selbst die Melkerinnen von den grünen Feldern vor der Stadt bringen uns Kannen mit Milch für die Mädchen, und die Obsthändler aus Kent bringen die besten Früchte ihrer Ernte zur Abtei und legen sie für uns vor die Tür. Sie sagen den Kirchenvorstehern, es sei für die «arme Königin» in ihrer Zeit der Not, aber dann fällt ihnen wieder ein, dass es ja eine neue Königin gibt, Margarete von Anjou, die nur auf den richtigen Wind wartet, um Segel zu setzen und auf ihren Thron zurückzukehren, und sie stolpern über ihre Worte und sagen schließlich: «Ihr wisst,wen ich meine. Aber sorgt dafür, dass sie es auch wirklich bekommt, denn das Obst aus Kent ist sehr gut für eine Frau kurz vor der Niederkunft. Es hilft, dass das Kind leichter kommt. Und sagt ihr, dass wir ihr alles Gute wünschen und wiederkommen.»
Für die Mädchen ist es schwer, so wenig von ihrem Vater zu hören, schwer, in den engen kleinen Räumen zu bleiben, denn sie sind von klein auf nur das Beste gewöhnt. Sie haben ihr ganzes Leben lang in den größten Palästen Englands gelebt, jetzt müssen sie sich plötzlich einschränken. Sie stellen sich auf eine Bank und blicken aus dem Fenster auf den Fluss, auf dem die königliche Barkasse sie zwischen den Palästen hin- und hergefahren hat. Sie können auch abwechselnd auf einen Stuhl steigen und durch das Türgitter auf die Straßen von London schauen, auf denen sie geritten sind und gehört haben, wie die Menschen ihre Namen riefen und sie segneten. Elizabeth, meine älteste Tochter, ist erst vier Jahre alt, doch es ist, als verstünde sie, dass eine Zeit großer Sorgen und Schwierigkeiten über uns gekommen ist. Sie fragt mich nie, wo ihre zahmen Vögel sind; sie fragt nicht nach den Dienern, die sie verhätschelt und mit ihr gespielt haben; sie fragt nie nach ihrem goldenen Kreisel, ihrem kleinen Hund oder ihren geliebten Spielsachen. Sie tut, als wäre sie in diesen beengten Verhältnissen geboren und aufgezogen worden, und sie spielt mit ihren kleinen Schwestern, als wäre sie ein Kindermädchen, das man angewiesen hat, stets freundlich zu sein. Sie fragt nur nach einem, nach ihrem Vater. Und ich muss mich daran gewöhnen, dass sie zu mir aufschaut, die kleine Stirn in Falten gelegt, und fragt: «Ist mein Vater noch der König hier, Frau Mutter?»
Am schlimmsten ist es für meine Söhne, die wie eingesperrteLöwenwelpen in den engen Räumen herumschleichen und sich zanken. Schließlich gibt meine Mutter ihnen Aufgaben: Schwertkampf mit Besenstielen, Gedichte auswendig lernen, Spring- und Fangspiele, die sie jeden Tag absolvieren müssen. Die Jungen zählen die Punkte und hoffen, dass die Übungen sie stärker machen für den Kampf, den sie herbeisehnen, den Kampf, der Edward wieder auf den Thron bringen soll.
Als die Tage kürzer und die Nächte dunkler werden, weiß ich, dass meine Zeit gekommen ist und das Kind sich ankündigt. Ich habe große Angst, dass ich bei der Geburt sterbe und meine Mutter allein hier zurückbleibt, in der Stadt unserer Feinde, und auf meine Kinder achtgeben muss.
«Weißt du, was passieren wird?», frage ich sie ganz offen. «Hast du es vorausgesehen? Und was wird aus meinen Mädchen?»
Ich sehe ein tieferes Wissen in ihren Augen, doch das
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