Die Königin der Weißen Rose
daran. Ich zweifle keinen Augenblick an ihm. Dann wird diese Zeit dir nur noch vorkommen wie ein böser Traum. Es ist, wie Anthony sagt: Schatten an der Wand. Was zählt, ist, dass Edward eine Armee zusammenzieht, die groß genug ist, um Warwick zu schlagen.»
«Aber wie?», frage ich und schaue hinaus auf die Stadt, die sich inzwischen ganz auf die Seite von Lancaster gestellt hat. «Wie will er das anstellen?»
«Er steht in Kontakt mit deinen Brüdern und all unseren Verwandten. Er stellt eine Armee auf, und er hat noch nie eine Schlacht verloren.»
«Er hat noch nie gegen Warwick gekämpft. Und Warwick hat ihm alles über den Krieg beigebracht.»
«Er ist der König», entgegnet sie. «Selbst wenn sie jetzt sagen, es hätte nichts bedeutet. Er wurde gekrönt, er ist von Gott geweiht, er wurde gesalbt – sie können nicht leugnen, dass er der König ist. Selbst wenn ein anderer gekrönter und geweihter König auf dem Thron sitzt. Aber Edward hat Glück und Henry nicht. Vielleicht läuft allesam Ende allein darauf hinaus: dass man Glück hat. Die Yorks sind ein vom Glück gesegnetes Haus.» Sie lächelt. «Und natürlich hat er uns. Wir können ihm Gutes wünschen, es ist doch nichts gegen einen kleinen Glückszauber zu sagen. Wenn das seine Chancen nicht verbessert, kann ihm nichts helfen.»
FRÜHJAHR 1471
Meine Mutter braut Kräutertränke, lehnt sich aus dem Fenster und gießt sie in den Fluss, flüstert Worte, die ungehört verhallen, und streut Pulver ins Feuer, aus dem grüne Flammen und Rauchwolken steigen. Nie rührt sie den Haferbrei der Kinder um, ohne ein leises Gebet zu sprechen; sie dreht ihr Kissen zweimal um, bevor sie ins Bett geht, und schlägt ihre Schuhe vor dräuendem Unglück gegeneinander, bevor sie sie anzieht.
«Hat irgendetwas davon eine Bedeutung?», fragt mich mein Sohn Richard mit Blick auf seine Großmutter, die ein Band flicht und dabei etwas murmelt.
Ich zucke die Achseln. «Manchmal», sage ich.
«Ist das Hexerei?», fragt er nervös.
«Manchmal.»
Im März erklärt mir meine Mutter: «Edward kommt zu dir. Ich bin ganz sicher.»
«Kannst du es voraussehen?», frage ich sie.
Sie kichert. «Nein, der Schlachter hat es mir gesagt.»
«Was hat dir der Schlachter gesagt? London ist voller Gerüchte.»
«Ja, aber er hat die Nachricht von einem Mann in Smithfield, und der beliefert die Schiffe, die nach Flandern auslaufen. Er sah eine kleine Flotte bei sehr schlechtem Wetter nach Norden segeln, und ein Schiff hatte dieSonne im Strahlenkranz gehisst, das Wappen des Hauses York.»
«Edward marschiert ein?»
«Vielleicht in diesem Augenblick.»
Eines Abends im April höre ich Jubel auf den Straßen. Ich springe aus dem Bett und lehne mich aus dem Fenster. Das Dienstmädchen des Klosters hämmert an die Tür, kommt ins Zimmer gelaufen und platzt heraus: «Euer Gnaden! Er ist es! Der König. Nicht König Henry, der andere König. Euer König. Der York-König. König Edward!»
Ich ziehe das Nachthemd enger um mich und lege die Hand auf mein geflochtenes Haar. «Jetzt, hier? Gilt der Jubel ihm?»
«Ja, sie jubeln ihm zu!», ruft sie. «Sie zünden Fackeln an, um ihm den Weg zu weisen. Sie singen und werfen ihm Münzen vor die Füße. Vor ihn und eine Schar Soldaten. Er kommt hierher.»
«Mutter! Elizabeth! Richard! Thomas! Mädchen!», rufe ich. «Steht auf! Zieht euch an! Euer Vater kommt. Euer Vater kommt zu uns zurück!» Ich zerre das Dienstmädchen am Arm. «Bring mir heißes Wasser zum Waschen und mein bestes Kleid. Lass das Feuerholz, das ist nicht wichtig. Wer wird je wieder an diesem armseligen Feuer sitzen?» Ich schiebe sie aus dem Zimmer, damit sie Wasser holt, und bin dabei, mein Haar aus den Nachtflechten zu lösen, als Elizabeth mit weit aufgerissenen Augen in mein Zimmer gelaufen kommt. «Kommt die böse Königin? Ist die böse Königin hier, Frau Mutter?»
«Nein, Schätzchen. Wir sind gerettet. Dein lieber Vater kommt uns besuchen. Hörst du nicht den Jubel?»
Ich stelle sie auf einen Hocker vor das Türgitter, dann spritze ich mir Wasser ins Gesicht und drehe mein Haar unter dem Hennin ein. Das Dienstmädchen bringt mir mein Kleid und schnürt es, wobei sie sich ungeschickt mit den Bändern verheddert, und dann donnert es auch schon an der Tür. Elizabeth schreit auf und springt vom Hocker, um die Tür zu öffnen, aber als er hereinkommt, größer und ernster, als sie ihn in Erinnerung hat, stolpert sie und fällt hin. Im selben Moment laufe ich, so wie
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