Die Königliche (German Edition)
zu verraten. Weißt du nicht mehr?«
»Wenn ich es dir gesagt hätte, hätte ich deswegen einen Kampf mit dir ausfechten müssen, Katsa. Ich will Entscheidungen über meine Geheimnisse treffen können, ohne jedes Mal mit dir kämpfen zu müssen!«
»Aber wenn du beschließt, dass ein Versprechen nicht mehr gilt«, sagte Katsa verzweifelt, »musst du mir das sagen. Sonst brichst du das Versprechen und ich habe das Gefühl, dass du gelogen hast. Warum muss ich dir das erklären? Diese Art von Dingen erklärst du doch normalerweise mir!«
»Weißt du, was?«, sagte Bo plötzlich heftig. »Ich kann das nicht, wenn du in der Nähe bist. Ich kann mir über diese Sache nicht klar werden, wenn ich in jedem Augenblick weiß, wie sehr sie dich ängstigt!«
»Wenn du glaubst, ich werde weggehen und dich in diesem Gemütszustand alleine lassen …«
»Du musst gehen. So ist es vereinbart. Du musst nach Norden reisen, um den Tunnel nach Estill zu suchen.«
»Ich gehe nicht. Keiner von uns geht! Wenn du entschlossen bist, dein Leben zu ruinieren, werden wenigstens deine Freunde hier bei dir sein, wenn es so weit ist!«
Jetzt brüllte Katsa; sie brüllten beide und Bitterblue hatte sich auf ihrem Stuhl ganz klein gemacht, zuckte angesichts des schrecklichen Lärms zusammen und presste mit beiden Händen das nasse Tuch an die Brust. »Mein Leben ruinieren?«, rief Bo. »Vielleicht versuche ich, mein Leben zu retten!«
»Dein Leben zu retten? Du …«
»Denk an unsere Abmachung, Katsa. Wenn du nicht gehst, gehe ich , und du wirst mich gehen lassen!«
Katsa hielt den Türknopf so fest umklammert, dass Bitterblue fast damit rechnete, dass er abbrach. Katsa starrte Bo eine ganze Weile wortlos an.
»Du hattest doch sowieso vor zu gehen«, sagte Bo, trat einen Schritt auf sie zu und streckte die Hand aus. »Liebes. Du wolltest gehen und dann wiederkommen. Das ist alles, was ich jetzt brauche. Ich brauche Zeit.«
»Komm nicht näher«, sagte Katsa. »Nein. Sag nichts weiter«, als er erneut den Mund aufklappte. Eine Träne lief ihr übers Gesicht. »Ich verstehe dich vollkommen.« Sie zog die Tür auf, schlüpfte durch den Spalt und war weg.
»Wo geht sie hin?«, fragte Bitterblue erschrocken. »Sie hat nichts an.«
Bo ließ sich auf das Bett sinken. Er barg den Kopf in den Händen und sagte: »Sie geht nach Norden, um den Tunnel nach Estill zu suchen.«
»Jetzt gleich? Aber sie hat keinen Proviant! Sie ist nur in ein Laken gewickelt!«
»Ich habe Hava gefunden«, entgegnete er ruppig. »Sie versteckt sich in der Kunstgalerie. Sie hat Blut an den Händen und sagt mir, dass dein Angreifer tot ist. Ich ziehe mich an und gehe zu ihr rauf, um zu hören, was sie weiß.«
»Bo! Lässt du Katsa so ziehen?«
Er gab keine Antwort. An den Tränen, die er vor ihr zu verbergen suchte, erkannte sie, dass er nicht darüber reden wollte.
Bitterblue betrachtete ihn einen Augenblick. Dann ging sie zu ihm und berührte sein Haar. »Ich liebe dich, Bo«, sagte sie. »Was immer du tust.«
Dann ging sie.
In ihrem Wohnzimmer brannte eine Lampe. Das Blau des Zimmers wurde von der Dunkelheit verschluckt und auf dem Tisch lag ein glänzendes Schwert, das alles Licht auf sich zu sammeln schien.
Daneben lag eine Nachricht.
Königin,
es ist entschieden, ich muss morgen früh nach Estill aufbrechen, aber ich wollte Ihnen vorher noch das hier von Ornik bringen. Ich hoffe, es gefällt Ihnen so gut wie mir und Sie werden keinen Grund haben, es während meiner Abwesenheit zu benutzen. Es tut mir leid, dass ich nicht da sein werde, um Ihnen beim Lösen Ihrer diversen Rätsel zu helfen.
Ihr Giddon
Bitterblue hob das Schwert hoch. Sein Schaft war solide, schwer und hervorragend ausbalanciert, lag gut in ihrer Hand, ihrem Arm. Schlicht gestaltet, im Dunkeln blendend. Das hat Ornik gut gemacht , dachte sie, während sie es in die Höhe reckte. Ich hätte es heute Nacht gebrauchen können.
Im Schlafzimmer machte Bitterblue Platz auf dem Nachttisch für das Schwert und den Gürtel. Der Spiegel zeigte ihr ein Mädchen mit einem blutenden, hässlichen Kratzer auf der Stirn; ein tränenverschmiertes Mädchen mit Schminkresten im Gesicht, aufgesprungenen Lippen und zerzausten Haaren. Alles, was sie heute Nacht erlebt hatte, konnte man an ihrem Gesicht ablesen. Sie konnte kaum glauben, dass der Morgen mit ihrem Traum und ihrem Besuch bei Madlen begonnen hatte. Dass sie erst letzte Nacht mit Saf über die Dächer der Stadt gelaufen war und von den
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