Die Königliche (German Edition)
Lovejoy zu, damit er entscheiden konnte, ob er sich ihr nähern oder sie ignorieren wollte. Er beschloss anzugreifen. Jaulend und schnell fuhr er ihr mit den Krallen über die Hand und zog sich dann wieder zurück.
Bitterblue presste sich die blutende Hand an die Brust und unterdrückte die Tränen, denn sie gab ihm nicht die Schuld und wusste, wie er sich fühlte.
Auf dem Weg in die Schreibzimmer fing Bo sie auf einer Treppe ab.
»Brauchst du mich?«, fragte er. »Möchtest du, dass ich oder sonst jemand dich dort hineinbegleitet?«
Im seltsamen Licht seiner Augen dachte Bitterblue darüber nach. »Ich werde dich in den nächsten Tagen oft brauchen«, sagte sie. »Und ich werde irgendwann in der Zukunft deine ungeteilte Hilfe brauchen, Bo. Deine Hilfe für meinen Hof, meine Verwaltung und Monsea – konzentriert und ohne Ablenkung, nicht während du gleichzeitig an einer Revolution in Estill teilnimmst. Sobald die Sache mit Estill geklärt ist, hätte ich dich gerne eine kurze Weile hier. Wärst du dazu bereit?«
»Ja«, sagte er. »Versprochen.«
»Ich glaube, das hier jetzt muss ich alleine machen«, sagte sie. »Obwohl ich keine Ahnung habe, was ich ihnen sagen soll. Ich habe keine Ahnung, was ich tun soll.«
Bo betrachtete sie mit schräg gelegtem Kopf. »Sowohl Thiel als auch Runnemood sind tot, Biber«, sagte er, »und sie waren die, die sich immer um alles gekümmert haben. Deine Männer sind auf der Suche nach einer neuen Führung.«
Als sie das untere Schreibzimmer betrat, verstummte der Raum. Alle Gesichter wandten sich ihr zu. Bitterblue versuchte sie als Männer zu sehen, die eine neue Führung brauchten.
Es überraschte sie, dass das gar nicht so schwer war. Sie war verblüfft von der Bedürftigkeit, die sich so deutlich auf ihren Gesichtern und in ihren Augen abzeichnete. Eine Bedürftigkeit nach vielen Dingen, denn sie starrten sie an wie Verlorene, stumm vor Verwirrung und Scham.
»Meine Herren«, sagte sie leise, »wie viele von Ihnen waren an der systematischen Vertuschung von Wahrheiten über Lecks Herrschaft beteiligt? Oder an der Ermordung der Wahrheitssucher?«
Niemand antwortete, aber viele senkten den Blick.
»Ist irgendjemand hier, der nicht in der einen oder anderen Weise daran beteiligt war?«
Wieder antwortete niemand.
»Also gut«, sagte sie ein wenig außer Atem. »Nächste Frage: Wie viele von Ihnen wurden von Leck gezwungen, Gräueltaten an anderen Menschen zu begehen?«
Alle hoben wieder den Blick und sahen sie an, was sie überraschte. Sie hatte befürchtet, die Frage würde dazu führen, dass sie zusammenbrachen. Aber stattdessen sahen sie sie an, beinahe hoffnungsvoll; und als Bitterblue sie ihrerseits anblickte, entdeckte sie schließlich die Wahrheit, die sich hinter ihrer Benommenheit verbarg, jenseits der Leere in all ihren Augen.
»Es war nicht Ihre Schuld«, sagte sie. »Es war nicht Ihre Schuld und jetzt ist es vorbei. Es werden keine Menschen mehr verletzt. Verstehen Sie? Nicht eine Menschenseele darf mehr verletzt werden.«
Tränen strömten über Roods Gesicht. Holt kam zu ihr und fiel auf die Knie. Er nahm ihre Hand und begann zu weinen. »Holt«, sagte sie und beugte sich zu ihm hinunter. »Holt, ich verzeihe Ihnen.«
Ein Hauch ging durch den Raum, ein Schweigen, das zu fragen schien, ob es ebenfalls der Verzeihung wert war. Bitterblue spürte die Frage von ihnen allen und suchte nach einer Antwort. Sie konnte nicht jeden Schuldigen hier zu einer Gefängnisstrafe verurteilen und es dabei belassen, denn das würde nichts am eigentlichen Problem in ihren Herzen ändern. Sie konnte sie nicht entlassen und wegschicken, denn wenn sie sich selbst überlassen wären, würden sie wahrscheinlich weiter Leute verletzen und einige von ihnen würden sich selbst verletzen. Es darf sich keiner mehr selbst verletzen , dachte sie. Aber ich kann sie auch nicht behalten und ihnen sagen, sie sollen mit ihrer Arbeit weitermachen – weil ich kein Vertrauen zu ihnen habe.
Sie hatte sich die Königin als eine Person vorgestellt, die große Dinge bewirkte, zum Beispiel den Analphabetismus aus der Stadt und dem Schloss verbannte. Die ihre Gerichtshöfe für Entschädigungsforderungen aus dem gesamten Königreich öffnete. Den Rat beherbergte, während er die Bevölkerung von Estill beim Sturz eines ungerechten Königs unterstützte, und sich darum kümmerte, was auch immer Katsa am anderen Ende jenes Tunnels fand. Die entschied, was für eine Marine Monsea brauchte und
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