Die Königliche (German Edition)
nichts, was ihm Freude gemacht hätte.«
»Wen hat er geliebt?«
Die Frage raubte ihr den Atem. »Meine Mutter«, flüsterte sie, »und mich.«
»Träum von dieser Liebe.«
Sie träumte von ihrer Hochzeit. Sie konnte nicht sehen, wen sie heiratete, derjenige kam gar nicht vor und es war auch nicht wichtig. Wichtig war, dass auf allen Instrumenten im Schloss Musik gespielt wurde, die alle glücklich machte, und dass sie mit ihrer Mutter und Thiel tanzte.
Es war früh am Morgen, als Bitterblue von ihrem knurrenden Magen geweckt wurde. Als sie die Augen öffnete, sah sie, dass es hell war, und spürte den seltsamen Trost des Traumes. Dann kamen die Erinnerungen. Schmerzen überall vom Kampf mit Thiel; vom Weinen, vom Verlust. Von Saf. Es hatte aufgehört zu schneien und der Himmel leuchtete blau durch drei kleine runde Fenster. Saf schlief neben ihr.
Es war ungerecht, wie unschuldig er aussah, wenn er schlief. Die frischen Blutergüsse um sein Auge und die purpurne Farbe, die unter dem Lienid-Muster auf seinem Arm sichtbar wurde, waren auch ungerecht. Im schwachen Licht des Vortags hatte sie diese Blutergüsse gar nicht bemerkt, und er hatte sie natürlich nicht erwähnt.
Wie loyal und liebevoll Saf zu ihr gewesen war, ohne dass sie ihn darum gebeten hatte. Er neigte genauso zu Liebe wie zu Wut, zu Wärme wie zu Dummheit, und er hatte etwas Zärtliches an sich, das sie nicht erwartet hatte. Sie fragte sich, ob man jemanden lieben konnte, den man nicht verstand.
Er schlug langsam die Augen auf und sanftes Violett strahlte sie an. Bei ihrem Anblick lächelte er.
Träum was Schönes , hatte er in jener Nacht in der Druckerei zu ihr gesagt, von Babys . Und das hatte sie getan. Träum von dieser Liebe.
»Saf?«, sagte sie.
»Ja?«
»Ich glaube, ich weiß, was deine Gabe ist.«
So war das mit Träumen. Sie waren schon von Natur aus so merkwürdig und ließen einen mit einem unwirklichen Gefühl zurück – wie sollte man da bemerken, wenn sie sich selbst komisch verhielten?
Die Gabe, Träume zu schenken, war eine schöne Gabe für jemand so Eigensinnigen und Liebenswerten. Das sagte sie Saf, während sie ihre Messer umschnallte und er sie davon zu überzeugen versuchte, noch etwas länger zu bleiben.
»Wir müssen experimentieren«, sagte er. »Wir müssen ausprobieren, ob es stimmt. Ob ich dir wohl wortlos einen Traum schenken kann, nur indem ich es mir wünsche? Ob ich dir einen ganz detaillierten Traum schenken kann, zum Beispiel von Teddy in rosa Strümpfen mit einer Ente im Arm? Ich habe was zu essen hier. Du musst doch großen Hunger haben. Bleib hier und iss noch was.«
»Ich nehme dir nicht dein Essen weg«, sagte Bitterblue und stieg in ihr Kleid, »außerdem werden sich die Leute Sorgen um mich machen, Saf.«
»Meinst du, ich könnte dir auch schlechte Träume verursachen?«
»Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel. Du bleibst doch hier drin, jetzt, wo es hell draußen ist, oder?«
»Meine Schwester ist krank.«
»Ich weiß«, sagte sie. »Man hat mir gesagt, sie würde wieder gesund. Ich habe Madlen zu ihr geschickt. Und ich werde jemanden mit Nachrichten zu dir senden, sobald es etwas Neues gibt, versprochen. Du verstehst, dass du hierbleiben musst, oder? Du wirst doch nicht das Risiko eingehen, gesehen zu werden?«
»Ich werde mich hier drin zu Tode langweilen«, sagte Saf seufzend, dann schlug er die Decke zurück und griff nach seinen Kleidern.
»Warte«, sagte Bitterblue.
»Was?«, fragte er und funkelte sie an. »Was …«
Bitterblue hatte noch nie einen nackten Mann gesehen und sie war neugierig. Sie beschloss, dass das Universum ihr ein paar Minuten schuldete, nur ein paar, um ihre Neugier zu befriedigen. Also ging sie zu ihm hinüber und kniete sich neben ihn, was ihn zum Verstummen brachte.
»Ich werde dir einen Traum schenken«, flüsterte er ihr zu. »Einen wunderschönen Traum. Ich sage dir nicht, was für einen.«
»Ein Experiment?«, fragte Bitterblue mit winzigem Lächeln.
»Ein Experiment, Sparks.«
Sie wusste, dass die Brücke mehr oder weniger schrecklich sein würde. Sie ging schnell bis in die Mitte, so weit vom Rand entfernt wie möglich. Der Wind hatte irgendwann in der Nacht nachgelassen und Schnee hatte sich angesammelt, was ihr sehr recht war. Durch den Schnee zu stapfen lenkte sie davon ab, sich klarzumachen, wo genau sie war.
Es half ihr auch, dass Saf sie vom Zugbrückenturm aus beobachtete und am helllichten Tag herauskommen würde, um ihr zu helfen,
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