Die Königliche (German Edition)
Augen, mit denen er sie anblinzelte, gelb und grün, effizient und überzeugt, während er ihr falsche Informationen gab, verunsicherten sie. Sie stellte fest, wie sie in Gedanken alles durchging, was Darby ihr in letzter Zeit gesagt hatte, und sich fragte, ob er ein Lügner sei.
Dann fasste sie sich, weil sie wusste, dass sie nur deshalb misstrauisch war, weil sie generell verunsichert war, und sie war verunsichert, weil in diesen Tagen alles darauf angelegt schien, sie zu verwirren. Es war wie das Labyrinth, das sie letzte Nacht entdeckt hatte, als sie nach einer abgeschiedeneren Route von ihren hoch gelegenen Räumen am nördlichen Ende des Schlosses zum Torhaus an der Südseite gesucht hatte. Sie hatte Angst, durch die gläsernen Dächer der Flure im Obergeschoss von den Wachen, die darüber patrouillierten, entdeckt zu werden. Deshalb war sie eine enge Treppe in der Nähe ihres Zimmers hinabgestiegen und hatte sich dann in einer Reihe von Gängen wiedergefunden, die immer erst vielversprechend gerade und gut beleuchtet wirkten, dann jedoch abbogen, sich verzweigten oder zu dunklen Sackgassen wurden, bis sie völlig die Orientierung verlor.
»Haben Sie sich verirrt?«, hatte eine unbekannte Männerstimme hinter ihr plötzlich gefragt. Bitterblue erstarrte, drehte sich um und versuchte den grauhaarigen Mann in der schwarzen Uniform der Monsea-Wache nicht allzu direkt anzusehen. »Sie haben sich verirrt, nicht wahr?«
Bitterblue hatte atemlos genickt.
»So geht es fast allen, die ich hier aufgabele«, sagte der Mann. »Sie sind in König Lecks Labyrinth. Es besteht aus lauter Gängen, die nirgendwohin führen, und mittendrin befinden sich seine Räume.«
Der Wachmann hatte sie hinausgeführt. Während sie ihm auf Zehenspitzen folgte, hatte sie sich gewundert, warum Leck ein Labyrinth um seine Räume gebaut hatte und warum sie nichts davon wusste. Und sie begann sich auch über andere Seltsamkeiten innerhalb der Schlossmauern zu wundern. Um zur großen Eingangshalle und zum Torhaus dahinter zu kommen, musste Bitterblue den großen Schlosshof durchqueren, der auf einer Höhe mit der Eingangshalle am südlichen Ende des Schlosses lag. Leck hatte dafür gesorgt, dass die Sträucher im Hof zu fantastischen Formen geschnitten wurden: stolze, posierende Menschen mit Blumen als Augen und Haare; wilde, monströse, blühende Tiere. Bären und Berglöwen, riesige Vögel. Aus einem Brunnen in der Ecke plätscherte Wasser in ein tiefes Becken. Über alle fünf Stockwerke des Schlosses erstreckten sich Balkone. Wasserspeier, noch mehr Wasserspeier, die auf hohen Vorsprüngen hockten, erklommen grinsend die Wände und streckten schüchtern die Köpfe vor. Die Glasdächer reflektierten das Licht der Hoflaternen wie große trübe Sterne.
Warum hatte Leck seinen Sträuchern so viel Aufmerksamkeit geschenkt? Warum hatte er die Innenhöfe und so viele der Schlossdächer mit Glas gedeckt? Und warum stellte Bitterblue in der Dunkelheit Dinge in Frage, die sie zuvor, am Tag, noch nie in Frage gestellt hatte?
Spät eines Nachts kam ein Mann aus der Eingangshalle in den großen Schlosshof geschritten, schob seine Kapuze zurück und durchquerte den Hof mit dem lauten Knallen von Stiefeln auf Marmor. Das war der selbstbeherrschte Gang ihres Ratgebers Runnemood; Runnemoods glitzernde juwelenbesetzte Ringe und Runnemoods schöne Gesichtszüge bewegten sich durch die Schatten. Voller Panik war Bitterblue hinter einem Strauch in Form eines sich aufbäumenden Pferdes abgetaucht. Dann war ihr beschenkter Wachmann Holt, der den zitternden Richter Quall stützte, hinter Runnemood hereingekommen. Alle drei hatten den Nordflügel des Schlosses betreten. Bitterblue war weitergelaufen, zu erschrocken darüber, beinahe entdeckt worden zu sein, um sich zu fragen, was die Männer zu dieser Zeit in der Stadt zu suchen gehabt hatten. Dieser Gedanke war ihr erst später gekommen.
»Wo gehen Sie nachts hin, Runnemood?«, hatte sie ihren Ratgeber am nächsten Morgen gefragt.
»Wo ich hingehe, Königin?«, fragte er mit zusammengekniffenen Augen.
»Ja«, antwortete Bitterblue, »gehen Sie manchmal noch spät aus? Ich habe gehört, dass Sie das tun. Verzeihen Sie mir, aber ich bin neugierig.«
»Ich habe gelegentlich noch spät in der Stadt zu tun, Königin«, sagte er. »Späte Abendessen mit Lords, die ein Anliegen haben – zum Beispiel einen Ihrer Minister zu treffen oder Sie zu heiraten. Es ist meine Aufgabe, solche Leute bei Laune zu halten und
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