Die Königliche (German Edition)
zu ändern. Bitterblue war froh über die Marine ihres Onkels im Süden und ihre seltsamen neuen Freunde im Osten. Sie wusste, sie würde Geduld haben und abwarten müssen, was geschehen würde. Und sie wusste auch, dass sie Vertrauen in ihre Freunde haben musste und sie sich nicht die ganze Zeit in einem Krieg vorstellen durfte. Bann, ihr alter Sparringspartner. Bo, der sich zu sehr unter Druck setzte und jetzt den Verlust eines Bruders verschmerzen musste. Katsa, die zerbrechen würde, wenn Bo etwas zustieße. Giddon. Es überraschte sie, wie nah sie den Tränen war, wenn sie daran dachte, dass Giddon wegging.
Raffin blieb als Verbindungsmann in Monsea zurück, was Balsam für Bitterblues Herz war, auch wenn er dazu neigte, lange zu schweigen und trübsinnig in Topfpflanzen zu starren. Sie hatte ihn heute Morgen im Garten im Schnee kniend angetroffen, wo er ein paar abgestorbene mehrjährige Pflanzen beschnitt.
»Wussten Sie«, sagte er und blickte zu ihr auf, »dass sie in Nander beschlossen haben, dass sie gar keinen König mehr wollen?«
»Was? Überhaupt keinen König?«
»Genau«, bestätigte er. »Das Bündnis aus Adligen wird weiterhin per Abstimmung regieren, gemeinsam mit einem weiteren, gleichberechtigten Bündnis, das aus vom Volk gewählten Vertretern besteht.«
»Sie meinen, so eine Art … aristokratische und demokratische Republik?«, fragte Bitterblue, die Begriffe aus dem Buch über die Tyrannei der Monarchie zitierte.
»So was in der Art, ja.«
»Faszinierend. Wussten Sie, dass in den Dells ein Mann einen Mann und eine Frau eine Frau heiraten kann? Das hat mir Fire erzählt.«
»Mhmphf«, sagte er und richtete dann ruhig den Blick auf sie. »Stimmt das?«
»Ja. Und der König selbst ist mit einer Frau verheiratet, die keinen Tropfen adliges Blut in den Adern hat.«
Raffin schwieg einen Moment und stocherte mit einem Stock im Schnee herum. Bitterblue stand so lange vor Bellamews Skulptur und blickte in die lebendigen Augen ihrer Mutter. Berührte den Schal, den sie trug, und schöpfte Kraft daraus. Schließlich sagte Raffin: »Das ist in den Middluns nicht üblich.«
»Nein«, sagte Bitterblue. »Aber in den Middluns kann der König machen, was er will.«
Raffin stand mit knackenden Knien auf und kam zu ihr. »Mein Vater ist ein gesunder Mann«, sagte er.
»Oh, Raffin«, erwiderte sie. »Darf ich Sie umarmen?«
Der Abschied fiel schwer.
»Glaubst du, ich könnte dir gestickte Briefe schreiben, die du mit den Fingern ertasten kannst, wenn du weg bist, Bo?«, fragte Bitterblue.
Er grinste. »Katsa ritzt mir gelegentlich eine Nachricht in Holz, wenn sie ganz verzweifelt ist. Aber müsstest du dazu nicht erst mal sticken lernen?«
»Das stimmt auch wieder«, räumte Bitterblue jetzt ebenfalls lächelnd ein und umarmte ihn.
»Ich komme zurück«, sagte Bo. »Das habe ich versprochen. Weißt du noch?«
»Ich komme auch zurück«, sagte Katsa. »Es wird Zeit, dass ich hier wieder Unterricht gebe, Bitterblue.«
Katsa umarmte sie lange und Bitterblue wurde bewusst, dass es immer so sein würde. Katsa würde kommen und gehen. Aber die Umarmung war echt und beständig, auch wenn sie irgendwann vorbei war. Das Kommen war genauso echt wie das Gehen, und das Kommen würde immer ein Versprechen sein. Das musste genügen.
In der Nacht, als alle abgereist waren, ging Bitterblue in die Kunstgalerie, weil sie sich einsam fühlte.
Und dann führte Hava Bitterblue die Treppe hinab an einen Ort im Schloss, wo Bitterblue noch nie gewesen war. Sie saßen nebeneinander auf den oberen Stufen der Treppe, die zum Gefängnis führte, und hörten Goldie zu, die ihren Gefangenen ein Schlaflied sang.
Ein Onkel und König wartete in Monport auf Bitterblue mit einer Marine, über die sie nach Belieben verfügen konnte. Bitterblue würde ihn dort treffen.
Am Tag vor ihrer Abreise saß sie in ihrem Turmzimmer und dachte nach. Dreißig von Lecks fünfunddreißig Tagebüchern waren in dem Feuer zerstört worden, das Thiel gelegt hatte. Todd, der jetzt fürchterliche Angst vor Feuer hatte, versuchte die fünf verbliebenen Tagebücher in wahnsinniger Eile zu lesen, zu entschlüsseln und auswendig zu lernen. Bitterblue verstand, was dieser enorme Verlust an Informationen bedeutete, aber es gelang ihr nicht, darum zu trauern. Ihre Erleichterung war einfach zu groß. Vielleicht würde sie eines Tages die fünf übrigen Tagebücher ihres Vaters lesen wollen, irgendwann. Fünf Tagebücher fühlten sich nicht so
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