Die Königliche (German Edition)
wie es jedes Mal war. Katsa war so mit Bo beschäftigt, dass sie sie noch nicht einmal bemerkt hatte.
»Ich war eigentlich gerade auf dem Weg zur königlichen Schmiede«, sagte Bitterblue zu Giddon, um deutlich zu machen, dass sie selbst auch Beschäftigungen und Ziele hatte, »aber ehrlich gesagt weiß ich gar nicht genau, wo sie liegt. Das konnte ich meinen Ratgebern gegenüber natürlich nicht zugeben.«
»Ich war schon mal dort, Königin«, entgegnete Giddon. »Sie liegt im Westen des Geländes, nördlich der Ställe. Soll ich Ihnen den Weg erklären oder wünschen Sie Begleitung?«
»Kommen Sie mit mir.«
»Sieht so aus, als wäre das Schauspiel hier jetzt sowieso zu Ende«, sagte Lord Giddon. Und das Geplansche und die Geräusche schienen in der Tat abgeflaut zu sein. Katsa und Bo umarmten sich. Es war schwer zu sagen, ob sie immer noch miteinander rangen oder ob sie angefangen hatten sich zu küssen.
Bitterblue wandte sich mit einem Anflug von Ärger ab.
»Warte!«
Das war Katsas Stimme, die gegen Bitterblues Rücken prallte und sie dazu brachte, sich umzudrehen. Katsa war aus dem Brunnen und aus Bos Armen geklettert. Ihre Augen leuchteten blau und grün, als sie mit tropfnassen Kleidern und Haaren auf sie zurannte. Sie lief in Bitterblue hinein und umarmte sie fest. Sie hob sie hoch, setzte sie wieder ab, drückte sie noch fester und küsste sie auf den Kopf. Schmerzhaft an Katsa gepresst hörte Bitterblue das wilde, kräftige Pochen von Katsas Herz. Sie drückte Katsa an sich. Tränen stiegen ihr in die Augen.
Dann war Katsa wieder weg und flog zurück zu Bo.
Während Bitterblue und Giddon durch den Westflügel des Schlosses zum Ausgang, der der Schmiede am nächsten lag, gingen, erklärte Giddon ihr, dass Entschädigungen für die Diebstähle eines Königs zu den Spezialitäten des Rats gehörten. »Das kann sehr schön sein, Königin«, sagte er. »Wenn wir so etwas machen, ist natürlich Betrug im Spiel und unsere Könige leben noch. Aber ich denke, Sie werden dieselbe Befriedigung daraus ziehen wie wir.«
Er ragte hoch neben ihr auf, so hoch wie Thiel und breiter. »Wie alt sind Sie?«, fragte sie unverblümt. Sie hatte beschlossen, dass Königinnen das Vorrecht hatten, neugierige Fragen zu stellen.
»Ich bin letzten Monat siebenundzwanzig geworden, Königin.« Die Frage schien ihm nichts auszumachen.
Dann waren sie also alle ungefähr gleich alt – Giddon, Bo, Katsa, Bann und Raffin. »Wie lange sind Sie schon mit Katsa befreundet?«, fragte sie, als ihr mit einer gewissen Entrüstung einfiel, dass Katsa ihn im Hof gar nicht begrüßt hatte.
»Oh«, sagte er und rechnete nach, »so etwa zehn oder elf Jahre? Ich habe ihr und Raffin meine Hilfe angeboten, sobald sie den Rat gegründet hatte. Natürlich kannte ich sie schon vorher; ich hatte sie oft am Hof gesehen. Ich habe ihr immer beim Training zugeschaut.«
»Sind Sie denn an König Randas Hof aufgewachsen?«
»Das Anwesen meiner Familie liegt in der Nähe von Randas Hof, Königin. Als Junge habe ich so viel Zeit am Hof verbracht wie möglich. Mein Vater war zu seinen Lebzeiten ein guter Freund Randas.«
»Ihre Vorlieben unterschieden sich anscheinend von denen Ihres Vaters.«
Er warf ihr einen überraschten Blick zu und machte dann ein indigniertes Geräusch. »Eigentlich nicht, Königin.«
»Nun ja, Sie haben den Rat der Loyalität Randa gegenüber vorgezogen, oder?«
»Ich bin dem Rat in erster Linie aus Faszination für seine Gründerin beigetreten, Königin. Katsa und der Reiz des Abenteuers. Ich glaube, es war mir ziemlich egal, wofür er stand. Damals war ich einer von Randas verlässlichsten Schlägern.«
Da fiel Bitterblue ein, dass Giddon zu denen gehörte, die die Wahrheit über Bos Gabe nicht kannten. War das der Grund dafür? War er ein Schläger? Aber inzwischen war Giddon doch einer von Bos engsten Freunden, oder nicht? Wie gelang es einem Mann, der der Vertraute eines bösen Königs war, diese Verstrickung aufzulösen, während der König noch am Leben war?
»Giddon?«, fragte sie. »Stehen Sie denn jetzt hinter den Zielen des Rats?«
Als er sie anblickte, sah sie die Antwort, bevor er sie ihr gab. »Von ganzem Herzen.«
Sie betraten eine schwach erleuchtete Eingangshalle, wo der Regen an hohe graue Fenster klopfte. Zwei Monsea-Wachen rahmten eine Seitentür. Als Bitterblue hinaustrat, stand sie auf einer überdachten Schieferterrasse mit Blick auf ein Beet mit durchweichten Löwenmäulchen. Hinter den Blumen
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