Die Königliche (German Edition)
gezerrt und die Tür geschlossen; und endlich konnte sie ihn genauer ansehen. Eins seiner Augen war halb zugeschwollen und von einem schwärzlichen Violett. »Verdammt«, sagte sie. »Was ist denn mit dir passiert?«
»Eine Schlägerei.«
Sie straffte die Schultern. »Sag mir die Wahrheit.«
»Warum? Ist das deine dritte Frage?«
»Was?«
»Wenn du noch mal wegmusst, Saf«, sagte Teddys schwache Stimme vom Bett her, »mach einen Bogen um die Callender Street. Die Mädchen haben gesagt, dort wäre ein Haus eingestürzt und hätte zwei weitere mitgerissen.«
»Drei Häuser eingestürzt!«, rief Bitterblue. »Warum ist die Oststadt so baufällig?«
»Ist das deine dritte Frage?«, fragte Saf.
»Ich werde dir beide Fragen beantworten, Lucky«, sagte Teddy. Als Reaktion darauf stürmte Saf in ein Nebenzimmer und knallte wütend die Tür hinter sich zu.
Bitterblue ging zu Teddy in die Ecke und setzte sich zu ihm in den kleinen Lichtkreis. Auf dem Bett, in dem er lag, waren überall Papiere verstreut. Einige waren auf dem Boden gelandet. »Danke«, sagte er, als Bitterblue sie aufsammelte. »Wusstest du, dass Madlen heute Morgen hier war, Lucky? Sie sagt, ich bleibe am Leben.«
»Oh, Teddy.« Bitterblue drückte die Papiere an sich. »Das ist ja wunderbar!«
»Also, du wolltest wissen, warum die Oststadt einstürzt?«
»Ja – und warum so komische Reparaturen durchgeführt werden. Kaputte Teile gestrichen werden und so.«
»Ah ja. Nun, die Antwort auf beide Fragen ist dieselbe. Es hat mit der Beschäftigungsquote der Krone von achtundneunzig Prozent zu tun.«
»Was!«
»Weißt du, dass die Verwaltung der Königin sich sehr bemüht hat, den Leuten Arbeit zu suchen? Das ist Teil ihrer Politik des Aufschwungs.«
Bitterblue wusste, dass Runnemood ihr gesagt hatte, fast alle in der Stadt hätten Arbeit. Aber zurzeit schenkte sie seinen Statistiken wenig Glauben. »Willst du damit sagen, dass die achtundneunzigprozentige Beschäftigungsquote wirklich erfüllt wird?«
»Im Großen und Ganzen ja. Und ein Teil der neuen Stellen wird dazu genutzt, Gebäude zu renovieren, die während Lecks Herrschaft vernachlässigt wurden. Jeder Stadtteil hat eine eigene Arbeitsgruppe aus Bauarbeitern und Ingenieuren, die dafür verantwortlich sind, aber der Ingenieur, der die Arbeitsgruppe in der Oststadt leitet, ist eine unsägliche Niete, Lucky. Genau wie sein direkter Untergebener und einige seiner Arbeiter. Sie sind einfach absolut unfähig.«
»Wie heißt der Leiter denn?«, fragte Bitterblue, obwohl sie die Antwort bereits kannte.
»Ivan«, sagte Teddy. »Er war früher mal ein erstklassiger Ingenieur. Er hat die Brücken gebaut. Jetzt können wir von Glück reden, wenn er uns nicht alle umbringt. Wir tun, was wir können, um selbst etwas zu reparieren, aber wir arbeiten ja auch, weißt du. Niemand hat Zeit.«
»Und warum darf er weitermachen?«
»Die Königin hat auch keine Zeit«, sagte Teddy einfach. »Sie steht an der Spitze eines Königreichs, das sich aus dem fünfunddreißigjährigen Bann eines Verrückten befreien muss. Sie ist inzwischen zwar älter geworden, aber sie muss immer noch mehr Kopfzerbrechen, Komplikationen und Konfusionen bewältigen als alle anderen sechs Könige zusammen. Sobald sie kann, wird sie sich sicher damit beschäftigen.«
Bitterblue war gerührt von diesem Vertrauen in sie, aber auch verblüfft. Werde ich das? , dachte sie benommen. Tue ich das? Mit Konfusionen beschäftige ich mich allerdings. Die Konfusionen drängen sich von allen Seiten auf, aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich irgendetwas davon bewältige; und wie soll ich Probleme lösen, von denen ich gar nichts weiß?
»Was Safs Verletzungen angeht«, fuhr Teddy fort, »es gibt da eine Gruppe aus vier oder fünf Idioten, denen wir gelegentlich über den Weg laufen. Mit Gehirnen in der Größe von Erbsen. Sie konnten Saf noch nie leiden, weil er Lienid ist und diese Augen hat und, na ja, ein paar Ansichten, die ihnen nicht passen. Und dann haben sie ihn eines Abends aufgefordert, ihnen seine Gabe zu zeigen, und das konnte er natürlich nicht. Also kamen sie zu dem Schluss, dass er irgendetwas verheimlicht. Dass er ein Gedankenleser ist, meine ich«, erklärte Teddy. »Immer wenn sie ihm seitdem begegnen, bestrafen sie ihn.«
»Oh«, flüsterte Bitterblue. Sie malte sich unweigerlich alles aus, die Schläge und Tritte, aus denen ihre Art Strafe wahrscheinlich bestand. Schläge und Tritte gegen Saf, gegen sein Gesicht. Sie
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