Die Kolonie
Magengrube. Er
hatte die ganze Nacht draußen verbracht und dann das
Frühstück und das Mittagessen verpaßt, während
er das Haus, die Wachen, die Militärstreifen, die Autos und
Motorräder beobachtete.
Schließlich wandte sich Bahjat wieder dem Haus zu, nachdem
sie sich so weit entfernt hatte, daß sie und ihre Begleiter zu
Schemen geworden waren, verloren und aufgesogen in der weiten,
flachen Landschaft. In der Ferne rollte Donner, und irgendwo am
Horizont flammten Blitze auf. Aber David ließ die Wache und das
Mädchen nicht aus den Augen.
Er lächelte grimmig in sich hinein. Was könnte
sarkastischer sein, als einen Kidnapper zu kidnappen?
Das Trio bewegte sich langsam wieder auf die Hacienda zu in
Richtung Eingang, wo die Autos und Kräder parkten. Die Wache am
Tor war immer noch mit ihrer Raucherei beschäftigt und schwatzte
anstatt den Parkplatz zu bewachen, mit jemandem, der hinter der
Tür stand.
David erhob sich langsam, um die Aufmerksamkeit nicht auf sich zu
lenken und glitt lautlos hinter die beiden Wachmänner, die
Bahjat begleiteten. Ihre Karabiner trugen sie über der Schulter.
Einer von ihnen trug eine automatische Pistole am Gürtel.
In den Wolken, die im Westen standen, zuckten immer häufiger
Blitze, und der Donner rollte hohl über die Ebene. Die Wachen
blickten himmelwärts und unterhielten sich leise auf
spanisch.
Dann wandte sich einer von ihnen in Internationalem Englisch an
Bahjat. »Es wird gleich regnen.«
»Und ziemlich heftig«, pflichtete ihm sein Kamerad
ebenfalls auf englisch bei. »Wir sollten lieber ins Haus gehen,
bevor wir naß werden.«
»Mir würde es nichts ausmachen, mit ihr naß
zu werden. Ich würde sie mit meinem Körper gegen das Toben
der Elemente schützen.«
»Wobei der Blitz in deinen Arsch einschlagen
würde!«
Sie lachten.
David legte die letzten zwanzig Meter, die zwischen ihm und der
Wache lagen, wie eine Raubkatze zurück, die auf ihre Beute
losgeht. Zunächst schlug er den Mann mit der Pistole mit einem
Handkantenschlag in den Nacken nieder. Der Mann stürzte nach
vorn.
Der andere drehte sich um die eigene Achse, wobei er den Karabiner
von der Schulter zu kriegen versuchte, den Mund weit aufgerissen, so
daß alle Zähne sichtbar wurden, die Augen vor
Überraschung und Schrecken geweitet. Er war höchstens
achtzehn oder neunzehn Jahre alt, registrierte David, als er einen
Treffer in seiner Magengrube landete.
Der Mann klappte zusammen, atmete keuchend aus und stöhnte.
David riß den Karabiner mit beiden Händen an sich und
versetzte ihm einen Hieb mit dem Gewehrkolben. Der Soldat streckte
sich im Gras aus und lag still.
Für einen Augenblick konnte es David kaum glauben, daß
es so leicht gegangen war. Die Überraschung ist stets die
beste Waffe, dachte er, sich an die Worte seines Kampftrainers
erinnernd. Tu stets das Unerwartete. Der alte Okinawa
wäre mit der Leistung seines Schülers zufrieden
gewesen.
Während sich Bahjat umdrehte, um zu sehen, was das
Geräusch hinter ihrem Rücken zu bedeuten hatte, bückte
sich David, um den zweiten Karabiner zu erhaschen. Er schwang die
Waffe über die Schulter und zog die Pistole aus dem Halfter. Die
Wache am Tor kehrte ihm immer noch den Rücken zu. David sah,
daß er sich immer noch mit einer der Stewardessen unterhielt.
Bahjat schaute ihm sprachlos zu.
Er steckte die Pistole in den Gürtel und winkte ihr mit dem
Karabiner zu. »Rein in den nächsten Wagen, los!«
zischte er. Sie zögerte. »Das Auto!« flüsterte er
drängend. »Steigen Sie ein und starten Sie!«
Sie trat an den nächsten Wagen und öffnete die Tür
zum Fahrersitz. »Haben Sie den Schlüssel?«
flüsterte sie zurück.
David warf einen kurzen Blick auf die Wache am Tor, dann blickte
er Bahjat an. »Was für einen Schlüssel? Der Wagen ist
offen.«
»Der Zündschlüssel. Man braucht einen
Schlüssel, um den Wagen anzulassen.«
Auf Eiland Eins gab es keine Autos, und die Elektrokräder
wurden mit Hilfe eines Schalters angelassen. David wußte nicht,
ob er ihr trauen durfte und stand unschlüssig in aufsteigender
Panik neben dem Wagen.
»Auch die Motorräder?« Die Wache nahm den
Zigarettenstummel mit Daumen und Zeigefinger aus dem Mund. David
wußte, daß er die Kippe auf den asphaltierten Boden des
Parkplatzes schleudern würde, wie er es schon wiederholt getan
hatte.
»Natürlich«, erwiderte Bahjat.
Sagt sie die Wahrheit? Was kann ich tun, wenn die mich
anlügt?
Doch Bahjat hatte sich bereits in Bewegung gesetzt. »Ich
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