Die Kolonie
Alle durften mitspielen.
Die 48 Staaten waren auf einer riesigen elektronischen Karte
dargestellt, die mit blinkenden Lichtern und verschlüsselten
Situationsberichten übersät war. Die Karte hatte so
gewaltige Ausmaße, daß sich der längste Mann mit
Gardemaß im unterirdischen Lagezentrum – ein ziemlich
junger Colonel, einst der Star der Basketballmannschaft in West Point
– kaum größer ausnahm als der durch gelbes Licht
gekennzeichnete Bereich, der Los Angeles darstellte.
Ein Großteil der Karte leuchtete rot und zeigte die
Gefahrenzonen an. Alle Städte im Nordosten, von Boston bis
Cincinnati, glühten. Chicago dagegen lag völlig im Dunkeln,
da kein Mensch wußte, was dort passiert war. Die Verbindung war
bereits vor Stunden abgerissen. Selbst die Satellitenkette, die als
absolut sicher galt, war unterbrochen.
»Ich habe bereits berichtet«, sagte ein
Ein-Stern-General zu den Männern und Frauen, die mit grimmigem
Gesicht durch den großen Flur der Zentrale hasteten, »ich
habe gesagt, daß dies nach den Berichten des Geheimdienstes zu
erwarten war. Aber keiner hat auf mich gehört.« Doch auch
jetzt hörte keiner auf ihn.
Hawaii, Alaska, Samoa und Puerto Rico waren an einer anderen Wand
auf einer kleineren Karte dargestellt. In den ersten drei
Ländern schien Ruhe zu herrschen. Der Aufstand hatte nicht auf
sie übergegriffen. Doch Puerto Rico war bereits aufgegeben
worden und die Besatzung nach New Jersey geflohen. Die Insel wurde
ihrem Schicksal überlassen, bis die Ordnung auf dem Festland
wieder hergestellt war.
Am schlimmsten war die Lage in den alten Großstädten im
Nordosten. Aus Los Angeles kamen widersprüchliche Berichte, und
St. Louis, Denver, Atlanta und Houston standen in Flammen. Phoenix
war vom Mob überrannt worden, der die Widerstandsnester binnen
weniger Stunden hinweggefegt hatte. Dallas-Fort Worth versuchte sich
zu halten, mit Hilfe der Texas Rangers – verstärkt durch
die schwer bewaffnete Bürgerwehr – wo Straße für
Straße Gegenangriffe gestartet wurden.
In Miami war es auffallend ruhig, wie auch im größten
Teil des Südens.
»Diese verdammten Nigger haben die Städte sowieso unter
Kontrolle«, bemerkte einer der Admirale, der nichts weiter zu
tun hatte, als den Fortgang der Kämpfe auf dem Festland zu
verfolgen.
»Tja, und sie haben alle Flüchtlinge aufgenommen, die
aus den betroffenen Städten geflohen sind«, sagte der
Colonel vom Geheimdienst. »Die Schwarzen werden sich um die
eigenen Leute kümmern. In wenigen Tagen werden wir es mit einer
umgekehrten Untergrundbewegung zu tun haben.«
In einigen Städten schien es überhaupt keine
Schwierigkeiten zu geben. In Minneapolis zum Beispiel herrschte
absolute Ruhe bis auf einige kleine Schießereien am Flughafen.
Ein unerwartet heftiger Herbststurm schien die Rettung für fast
alle Staaten im Mittelwesten gewesen zu sein. Auch San Francisco
schien wenig betroffen, bis auf einen friedlichen Aufmarsch –
ganz spontan, wie die Organisatoren behaupteten –, um für
die Minderheiten im Land zu demonstrieren.
Aber Boston, New York, Philadelphia, Detroit, Cleveland,
Pittsburgh, Indianapolis – all die alten, sterbenden
Industriestädte, die dem Verfall preisgegeben waren –
wurden Schauplatz erbitterter Kämpfe. Washington wurde belagert,
obwohl das Militär und die Marineeinheiten von der Basis, die
die alte Hauptstadt einschlossen, sofort zum Gegenangriff
übergegangen waren und Zug um Zug die Straßen
säuberten. Zu spät allerdings, um das Weiße Haus vor
einem zweiten Brand zu schützen, zu spät, um den Mord an
all den Kongreßabgeordneten und Senatoren zu verhüten, die
während der Feiertage in der Stadt geblieben waren. Doch die
militärische Lage in Washington besserte sich von Stunde zu
Stunde.
»New York ist der Schlüssel«, meinte der
Oberbefehlshaber der kombinierten Streitkräfte, ein
Vier-Sterne-General, der stets alle seine Orden trug. Auch heute war
es nicht anders. Während die anderen in Hemdsärmeln
(aufgekrempelt sogar!) herumliefen, trug der Chef auch diesmal eine
korrekt zugeknöpfte Uniformjacke und Hosen mit tadellosen
Bügelfalten.
»Meine Herren, erinnern Sie sich daran, was Sie gelernt
haben?« Der Chef lächelte seine Generale und Colonels
grimmig an, die aschfahl im Gesicht waren. »Denken Sie daran,
wie seinerzeit Marschall Schukow die Deutschen dazu gebracht hat,
sich bei den blutigen Straßenkämpfen in Stalingrad
aufzureiben, während er seine Streitkräfte außerhalb
der Stadt
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