Die Kolonie
»Das liegt zwar nicht ganz
außerhalb der Möglichkeiten, aber viel eher in
Osteuropa… in Deutschland… Was ist, wenn es dort losgeht?
Es könnte ja, weiß Gott, auch hier beginnen – hier in
Messina! Das alles wird von der RUV gelenkt, es geht gegen die
Weltregierung, also gegen uns!«
»Ich weiß«, sagte Boweto.
»Und De Paolo ist bettlägerig, mehr tot als
lebendig.«
»Hat man ihn über die Ereignisse informiert?«
»Das bezweifle ich«, sagte Malekoff verdrießlich.
»Sie fürchten alle, daß sie ihn umbringen.«
»Aber wenn wir handeln müssen… wenn sich die Krise
über Nordamerika hinaus weiter ausbreitet…«
»Dann sind wir handlungsunfähig. Der Direktor muß
alle überregionalen Aktionen genehmigen.«
»Wir sollten sofort einen stellvertretenden Direktor
bestimmen«, sagte Boweto, ohne eine Miene zu verziehen.
Malekoff warf die Hände in die Luft. »Selbst das müßte vom Direktor genehmigt werden! Uns sind die
Hände gebunden!«
Boweto schwieg für einen langen Augenblick. Malekoff kramte
nervös in seinen Taschen, bis er ein silbernes Zigarettenetui
und ein Feuerzeug fand.
»Ich wußte gar nicht, daß Sie rauchen.«
»Nur heimlich«, sagte Malekoff und zog an seiner langen,
braunen Zigarette, bis sie aufglühte. Dann stieß er eine
Rauchwolke aus. »Und unter extremem Streß.«
Boweto nickte mitfühlend. »Wir müssen es ihm sagen,
ganz gleich, wie groß der Schock auch sein wird.«
»Seine Mitarbeiter werden niemandem zu ihm lassen«,
sagte Malekoff.
»Wir werden seine Leute dazu zwingen müssen. Die
Weltregierung kann nicht handlungsunfähig bleiben, wie Sie es
ausdrückten, nur wegen eines kranken alten Mannes.«
»Ich will ihn umbringen, das wissen Sie genau«,
sagte Malekoff.
Boweto zuckte die Achseln.
Malekoff qualmte wütend vor sich hin.
»Lassen Sie mich das machen«, meinte Boweto
schließlich.
Die Weltregierung verspricht eine herrliche Zukunft, in der
alle Menschen Brüder sind. Doch die hungernden Menschen dieser
Erde können nicht bis morgen warten. Sie müssen heute
sterben. Die unterdrückten Massen in den Vereinigten Staaten
erheben sich bereits, um das zu erzwingen, was ihnen rechtens
zusteht.
Vier Fünftel der Weltbevölkerung sind
unterernährt, krank, ungebildet und hoffnungslos. Sie sind
verzweifelt. Sie wollen keine Weltregierung. Sie wollen
Nahrungsmittel, Land, Arbeit, und sie sind bereit, für diese
elementaren Bedürfnisse zu kämpfen.
Wir brauchen keine Weltregierung, keine riesige Barriere des
Bürokratismus, die die Reichen von den Armen trennt. Wir
brauchen kleinere Regierungen, einzelne Nationen, die ein offenes Ohr
für die Bevölkerung ihres Landes haben, Verständnis
für die regionalen Nöte und Bedürfnisse.
Die Armen in den Vereinigten Staaten stehen unter Waffen. Die
Armen der anderen Völker werden sich ebenfalls erheben. Wenn es
Blut kostet, sich von der Weltregierung loszusagen, so sei’s
drum! Die Armen haben nichts zu verlieren.
El Libertador, Fernsehansprache,
weltweit über Satellit verbreitet am
27. November 2008.
30. Kapitel
Tief unter der Erde, mehr als hundert Meter unter den
Kellergewölben des verfallenen alten Pentagons pulsierte das
Nervenzentrum der amerikanischen Militärmaschinerie mit
intensiver elektronischer Energie.
Seit der Gründung der Weltregierung und der darauf folgenden
strategischen Abrüstung verfügte keine nationale
Militärmacht mehr über nukleare oder biologische Waffen,
auch nicht über tödliche chemische Waffen. Die Funktion der
Armee wurde auf den Grenzschutz und auf die Aufrechterhaltung der
inneren Ordnung reduziert. Der Krieg wurde verdammt, und die
Massenvernichtungsmittel wurden von der Weltregierung
konfisziert.
Dennoch blieb noch ein ansehnliches Waffenarsenal übrig, das
das Herz eines jeden Kämpfers und Heerführers von Dschingis
Khan bis George S. Patton hätte höher schlagen lassen:
Gewehre, Maschinenpistolen, Maschinengewehre, Geschütze, Panzer,
Pistolen, Bajonette, Düsenbomber, Napalm, Schnellboote,
Abschußrampen für taktische Raketen, schwere
panzerknackende Laserwaffen, Ultraschallgeräte, Vibratoren, die
epileptische Reaktionen auslösten… eine endlose Reihe von
perfekten Quäl- und Tötungsmechanismen.
Doch das nützlichste und notwendigste Werkzeug der
Militärs war die Kommunikation. Über elektronische
Anschlüsse wurde den vereinigten Generalen und Colonels (und den
glänzenden Admiralen unter ihnen) Ort und Art der jeweiligen
Ereignisse mitgeteilt.
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