Die Kolonie
Seine
Handgelenke waren an den Armlehnen festgebunden. Man hatte ihm einen
Stoffsack über den Kopf gezogen, er konnte den Stoff an Nase,
Kinn und Ohren spüren. Sein Atem, der durch den Stoff drang,
roch nach Schweiß.
Es ist mein eigener Schweiß, dachte er. Ich bin in
Schweiß gebadet. Ich bin drauf und dran, die Drogen zu
überwinden, indem ich sie ausschwitze.
Das Donnern und die Schwingungen verebbten. David spürte sein
Gewicht dahinschwinden, und das Gefühl des Schwebens und Fallens
der Schwerelosigkeit kam über ihn. Sein leerer Magen begann zu
rebellieren, doch durch eine plötzliche Willensanstrengung
gelang es ihm, dieses Gefühls Herr zu werden. Er entspannte sich
und verlegte sich aufs Horchen.
Jetzt konnte er verstehen, was gesprochen wurde, und konnte die
einzelnen Stimmen auseinanderhalten.
»Es ist unsinnig, ihn am Leben zu erhalten«, sagte Hamud
mit gedämpfter Stimme. »Er wird uns zur Last, sobald wir
auf Eiland Eins sind.«
Dann war die röhrende Stimme Leos zu hören, als er
sagte: »Scheherazade meint, wir könnten ihn dort oben
brauchen.«
»Wir haben alle Informationen, die wir brauchen und die wir
von ihm bekommen konnten.«
»Ich weiß nicht recht. Die Weltraumkolonie ist verdammt
groß. Vielleicht kann er uns noch mehr sagen. Dinge, die wir
ihn gar nicht gefragt haben.«
»Er weiß zu viel über Eiland Eins«,
zischte Hamud. »Sobald er dorthin zurückkehrt, wird er
gefährlich. Er wird versuchen zu fliehen und uns zu
bekämpfen.«
David nickte vor sich hin. Ich bin schon dran.
»Schau«, sagte Leo unterdrückt. »Scheherazade
sagt, daß wir den Burschen auf Eiland Eins brauchen. Also leg
dich nicht mit ihr an!«
»Wenn du dich vor ihr fürchtest« – David
hörte ein Rascheln, wie wenn jemand in seine Hosentasche greift,
was Hamud wirklich getan hatte –, »so kann ich ihm noch
eine Portion von diesem Stoff einjagen. Sie würde es nie
erfahren. Dann würde er an einer Überdosis sterben, das ist
alles.«
David konnte sich die Spritze lebhaft vorstellen. Er hatte sie oft
genug gesehen, nachdem man ihn an diesem Stuhl in der Zelle
festgeschnallt hatte.
»Ich fürchte mich vor niemandem«, meinte Leo.
»Aber ihre Methode leuchtet mir eher ein als deine.«
»Sie liebt ihn«, grollte Hamud. »Sie ist eine Frau
und denkt eher mit ihren Drüsen als mit ihrem Kopf.«
»So? Nun, ich benutze meinen Kopf zum Denken, und ich glaube,
sie ist vernünftiger als du.«
»Ach was!«
David hörte das Klicken eines Sicherheitsgurtes, der
gelöst wurde, dann spürte er, wie Hamuds Körper neben
ihm emporschwebte, roch seinen Schweiß, seinen Atem. Er konnte
den harten Kunststoff der Spritze in Hamuds Hand richtig fühlen.
Ein Keuchen, dann sagte Leo: »Laß ihn in Frieden, Mann,
oder ich werde dir deinen verdammten Arm brechen!«
Hamuds hautnahe Gegenwart wich zurück. David konnte sich
lebhaft vorstellen, wie Leos riesige Pranken Hamuds Arm fest
umklammerten. Dann vernahm er das Geräusch berstenden
Kunststoffs.
»Du siehst nicht besonders gut aus«, sagte Leo.
»Hast du dich jemals bei Nullgravitation aufgehalten?«
»Nein.« Hamuds Stimme war wie dunkle Watte.
»Besser du bewegst deinen Arsch in irgendeinen Waschraum und
schluckst ein paar Pillen. Du bist ziemlich grün um die
Nase.«
Einige Augenblicke lang konnte David nichts hören. Aber er
fühlte, wie Leos riesiger Leib über ihm schwebte.
»Danke«, sagte David.
»Bist du wach?«
»Ich habe alles mitbekommen. Vielen Dank.«
Leo kam näher und flüsterte: »Halt den Mund,
Bleichgesicht! Ich habe dir keinen Gefallen getan.«
»Es ist schon das zweitemal, daß du mich hättest
umbringen können, aber du hast es nicht getan.«
»Schit… Ich habe noch nie jemanden umgebracht. Befehlen
ist eine Sache, aber es selbst tun… nun, ich habe jedenfalls
noch keinen umgebracht.«
David speicherte diesen Bruchteil von Information in seinem
Gedächtnis. »Hast du bereits Nullgravitation
erlebt?«
»Nur einmal, als ich noch Football spielte. Die haben damals
die ganze Mannschaft zu einer Publicity-Veranstaltung nach Alpha
geschickt. Nun sei aber schön still und laß sie glauben,
daß du noch immer hinüber bist. Hamud hat dich genug
gequält. Wenn er erfährt, daß du bei Bewußtsein
bist, wird er dich bei der ersten Gelegenheit ins Land der
Träume befördern.«
»Nochmals vielen Dank«, sagte David. Dann lehnte er sich
zurück und ließ sich genußvoll in den Schlaf
gleiten. Vorerst war er in Sicherheit. Und er hatte das
Weitere Kostenlose Bücher