Die Kolonie
wußte es genau. Früher oder später
mußten sie darauf kommen, daß Eiland Eins der
Schlüssel zur Erfüllung aller ihrer gewalttätigen
Träume war. Und sie waren drauf und dran, Eiland Eins zu erobern
oder zu vernichten. David aber wußte, daß er ihnen
Einhalt zu bieten hatte, weil nur er allein dazu imstande war.
Er befand sich am äußersten Ende des Forschungslabors
für Infektionskrankheiten, als plötzlich alle Deckenlichter
aufflammten.
David blickte vom Labortisch auf, erhob sich von seinem Stuhl und
schritt so langsam und so ruhig durchs Labor, wie er es nur
fertigbrachte.
Ein halbes Dutzend junger Schwarzer, Leo allen voran, stürmte
den Raum.
»Da ist er!«
Einer der Jungs hob das Gewehr, doch Leo schob die Waffe
beiseite.
»Sie wollen ihn lebend«, mahnte er.
»Danke«, sagte David, die Arme erhoben und die
Handflächen nach außen gekehrt, um zu zeigen, daß er
unbewaffnet war.
Leo grunzte ihn an. »Danke mir nicht, Mann. Sobald sie dich
in die Mangel genommen haben, wärst du vielleicht froh, wenn du
tot wärst.«
Bahjat hatte hinter dem Tisch Platz genommen, und Hamud ging
nervös vor dem Tisch auf und ab. Das Büro war sehr eng, das
einzige Fenster glich eher einer Schießscharte. Der Raum war
mit dem säuerlichen Geruch elektrischer Spannung
erfüllt.
»Bring ihn um!« knurrte Hamud. »Ich sage euch, wir
wollen ihn hier und jetzt exekutieren. Einmal ist er uns schon
entkommen. Wir können es nicht riskieren, daß er entwischt
und unseren Schlupfwinkel preisgibt.«
Bahjat saß in ihrem Sessel und versuchte ruhig zu bleiben,
während in ihrem Innern die verschiedensten Gefühle und
Gedanken miteinander kämpften.
»Wir dürfen ihn nicht töten«, meinte sie.
»Er ist für uns zu wertvoll.«
»Vielleicht für dich«, warf ihr Hamud vor.
»Für dich und für dein Vorhaben, Eiland Eins zu
erobern«, konterte sie so kühl wie möglich.
»Ihr beiden wart monatelang beieinander«, gab Hamud
zurück. »Erzähl mir bloß nicht, daß ihr
nicht miteinander gevögelt habt.«
»Ich will dir eins sagen. Ich bin dahinter gekommen,
daß er sein ganzes Leben auf Eiland Eins verbracht hat. Er
kennt jeden Winkel dieser Weltraumkolonie – jedes Blatt an den
Bäumen, jede Wählscheibe an den Computer-Terminals. Er ist
ein lebender Plan für die ganze Kolonie.«
»Und du liebst ihn.«
Sie überhörte die Bemerkung. »Eiland Eins ist eine
riesige, komplizierte Anlage. Zur Besetzung werden uns nur so viele
Leute zur Verfügung stehen, die in eine einzige Raumfähre
passen. Wir müssen herausfinden, wo wir zuschlagen müssen,
wo sich die Schlüssel-Kontrollzentralen befinden und wie sie zu
nehmen sind…«
»Ich weiß.« Hamud unterbrach seinen Spaziergang
und wandte sich ihr zu. »Wir brauchen detaillierte Informationen
über jeden Quadratzentimeter von Eiland Eins. Ich weiß
es.«
»Und wir haben all diese Informationen. Sie stecken in seinem
Hirn. Er weiß alles über Eiland Eins –
alles.«
»Aber wird er sie uns verraten?«
Bahjat hatte plötzlich das Gefühl, jemand anderer zu
sein, weit entfernt von diesem Ort, als blickte sie auf sich herab,
so wie man eine holografische Aufzeichnung oder eine Fernsehsendung
verfolgt, in der man auftritt. Sie sah sich sarkastisch lächeln
und hörte sich sagen: »Oh, ich bin sicher, daß wir
ihn dazu überreden können. Sollten wir keinen Erfolg haben,
so können wir ihn immer noch zuschauen lassen, wie seiner
englischen Hure bei lebendigem Leibe die Haut abgezogen
wird.«
Das Büro war in eine kleine, funktionsgerechte
Verhörzelle umgewandelt worden. David saß auf einem
unbequemen, steiflehnigen Stuhl, die Arme am Körper und an die
Rückenlehne des Stuhles gefesselt. Die Deckenbeleuchtung war
ausgeschaltet. Der Lichtstrahl einer einzigen hellen Lampe war direkt
auf seine Augen gerichtet.
Arme und Beine waren eingeschlafen. Er hatte jegliches
Zeitgefühl verloren, seitdem man ihn an den Stuhl gefesselt
hatte. Er konnte die Wände nicht sehen. Das Fenster, sofern
dieser Raum überhaupt eins hatte, mußte sich hinter ihm
befinden. Mund und Kehle waren trocken wie Sandpapier. Man hatte ihm
seit langer Zeit nicht einmal einen Schluck Wasser mehr gereicht.
Trotzdem war seine Blase bis zum Bersten gefüllt.
Im Augenblick war er allein. Die Verletzung unter seinem Auge
schmerzte höllisch. Man hatte ihn zwar keiner physischen Tortur
unterzogen, aber man hatte seinen Zorn und seine Entschlossenheit
unterschätzt. David hatte sich widersetzt, als man ihn
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