Die Kolonie
wo würden die Rebellen, wie etwa die
Revolutionäre in Lateinamerika ihre Waffen und Munition
beschaffen? Wenn es die Konzerne darauf anlegen, die Weltregierung zu
schwächen…
Evelyn knabberte an einem Schlegel. »Das ist besser als
alles, was ich je im guten alten England bekommen habe.«
»Das alles ist frisch«, sagte er und zwang sich dazu,
ihr seine Aufmerksamkeit zu schenken. »Keine
Konservierungsmittel oder ähnliche Scherze. Das geht aber nur,
wenn man wenige Leute zu versorgen hat.«
Evelyn fragte, während sie sich mit der Serviette den Mund
abtupfte: »Macht es Ihnen nichts aus, ein sorgloses Leben zu
führen, während auf der Erde Milliarden in Hunger und Elend
vegetieren?«
»Ich weiß nicht. Ich habe nicht viel darüber
nachgedacht.«
»Das sollten Sie aber.«
»Und wie steht’s mit Ihnen?« konterte er.
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, hier zu leben und all die
Milliarden Menschen im Elend einfach hinter sich zu lassen?«
Ihre meertiefen Augen starrten ihn für einen Augenblick
überrascht an. Dann senkte sie den Blick fast schuldbewußt
auf ihren Teller. »O ja, ich glaube schon, daß es mir
etwas ausmachen würde«, flüsterte sie.
Er langte über den Tisch und nahm ihre Hand. »He, ich
habe Sie nur geneckt.«
»Es ist nicht besonders lustig, nicht wahr?«
»Schauen Sie«, sagte David, »wir vollbringen hier
oben große Dinge, die der Erdbevölkerung helfen sollen.
Wir bauen die Sonnensatelliten…«
»Um Energie für die Reichen zu erzeugen, die sie sich
leisten können.«
David legte die Gabel auf seinen Teller, daß es klirrte.
»Nun, irgend jemand muß doch für den Bau und für
die Betriebskosten aufkommen. Die Satelliten vermehren sich nicht von
selbst.«
»So werden die Reichen immer reicher, während die Armen
noch ärmer werden.«
Wie soll ich mit diesem Weibsbild fertig werden? »Und
was ist mit den molekularbiologischen Forschungen? Man ist dabei,
besondere Bakterien zu entwickeln, die den Stickstoff für das
Getreide liefern, so für Roggen und Weizen. Eines Tages wird man
keine Düngemittel mehr brauchen. Dadurch wird der Anbau
erheblich einfacher und billiger – bei einer weitaus geringeren
Umweltverschmutzung…«
»Und die reichen Farmer werden es zuerst bekommen und dazu
verwenden, die ärmeren Einzelerzeuger zu verdrängen. Der
Hunger unter den armen Völkern wird schlimmer wüten denn
je…«
»Sie haben sich eine ausgesprochen eingleisige Denkart
zugelegt!«
»Und Sie sind nie auf der Erde gewesen. Sie haben niemals all
die Armut, den Hunger, die Verzweiflung erlebt.«
Darauf wußte er nichts zu erwidern.
»Sie müssen mal dort hinunter«, drängte
Evelyn. »Gehen Sie nach Lateinamerika, nach Afrika oder nach
Indien und sehen Sie selbst, wie die Menschen auf der Straße
verhungern.«
»Ich kann nicht«, sagte David. »Sie würden
mich nicht fortlassen.«
»Sie – wer ist denn das?«
Er zuckte die Achseln. »Dr. Cobb. Er trifft hier alle
Entscheidungen.«
»Dr. Cobb? Warum erlaubt er Ihnen nicht, die Erde zu
besuchen? Er kann Sie schließlich nicht
festhalten…«
»O ja, er kann«, sagte David. Das hätte ich
nicht erwähnen sollen. Er fühlte sich plötzlich
elend. Nun wird sie alles wissen wollen.
»Aber wie kann Sie Cobb daran hindern, Eiland Eins zu
verlassen? Sie sind ein freier Bürger, und Sie haben Ihre
Rechte!«
David hob die Hand. »Das ist eine lange Geschichte, und ich
kann wirklich nicht auf alle Einzelheiten eingehen.«
Einen Augenblick lang sah sie wütend aus. Dann wandelte sich
ihr Ausdruck in pure Neugier. »Glauben Sie, daß es eine
Privatinformation ist? Oder ist es eine Art Betriebsgeheimnis, das
Cobb vor Ihnen verbirgt?«
»Ich blicke da nicht durch«, meinte David.
»Wirklich nicht?«
»Es ist alles bestens«, versuchte David zu
erklären. »Ich kann nicht klagen. Ich habe hier oben ein
ziemlich bequemes Leben, da haben Sie recht. Aber ich verfolge die
Nachrichtensendungen im Fernsehen, und natürlich bin ich durch
meine Vorhersagestudien über alles unterrichtet, was auf der
Erde passiert.«
»Das ist nicht dasselbe«, sagte Evelyn.
»Wirtschaftsdaten und technische Berichte können kein
Ersatz dafür sein, dort unten zu leben.«
»Ich weiß«, erwiderte er. »Vielleicht, eines
Tages…«
Sie ließ das Thema fallen, und der Gedanke verflog wie Rauch
in der Luft. David war ihr dankbar dafür. Schweigend beendeten
sie ihr Mahl.
Als David die Teller auf das Gitter des Geschirrspülers
legte, sagte Evelyn: »Ich muß
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