Die Kolonie
Dürre in
Ihrem Land eine natürliche Erscheinung ist?«
»Die Dürre ist beachtlich, Sir.«
»Und der Winter, den Nordamerika durchstehen mußte? Und
dieser Frühling? Die Überschwemmungen in China? Sind das
nichts weiter als Naturkatastrophen?«
»Alles liegt im Bereich des Möglichen.«
»Aber es ist unwahrscheinlich. Ich sage Ihnen, wir befinden
uns mitten in einem Krieg, mitten im Vierten Weltkrieg. Diese Waffen
sind verborgen, lautlos und auf die Umwelt gerichtet. Ein
ökologischer Krieg. Sie greifen gegenseitig ihr Wetter an,
beeinflussen die Ernte, die Niederschlagsmengen, sie legen Hand an
die Wasservorräte. Es ist gleich, ob man nun einen Menschen
langsam verhungern läßt oder ihn
erschießt.«
»Bevor wir etwas unternehmen können, Sir, brauchen wir
Beweise.«
»Ich weiß, ich weiß. Aber das, was mir Sorgen
macht, was mir den Schlaf raubt, ist der Gedanke an den nächsten
Schritt, den sie unternehmen werden. Diesmal ist es das Spiel mit dem
Wetter. Können Sie sich denken, wie der nächste Schritt in
einem ökologischen Krieg aussehen wird?«
Der Adjutant verstummte.
»Krankheit«, sagte De Paolo. »Biologische
Kriegführung. Viren. Bakterien. Neue Krankheiten, die im Labor
gezüchtet werden, neue Krankheiten, für die es keine
Heilung gibt. Das ist es, was auf uns zukommt, ich weiß es. Ich
kenne die Methoden, mit denen sie vorgehen werden, ich weiß,
was sie tun. Wir müssen ihnen einen Riegel vorschieben. Wir
müssen es verhindern.«
»Aber wie?«
Der Direktor schüttelte den Kopf. »Glauben Sie,
daß ich, wenn ich es wüßte, meine Nachmittage damit
verbringen würde, in die Wolken zu starren?«
Der Adjutant wäre versucht gewesen zu lächeln, doch das
war unhöflich. Ein Adjutant lächelt seinen Vorgesetzten
nicht an, ohne dazu aufgefordert zu werden, selbst dann nicht, wenn
er sich darüber freut, daß sein Vorgesetzter noch nicht
ganz verkalkt ist.
Der Äthiopier ging an die Tür zum Konferenzraum und
öffnete sie. De Paolo trat auf die Schwelle. Sechs Männer
in mittleren Jahren erhoben sich von ihren Sitzen. De Paolo
lächelte flüchtig und forderte sie dann mit einer Geste zum
Sitzen auf. Er selbst nahm auf dem gepolsterten Ledersessel am
Kopfende des polierten Mahagonitisches Platz, während sein
Adjutant sich eilig in einen Kunststoffsessel hinter ihm setzte. An
dem langen Konferenztisch blieb nur ein einziger Stuhl leer.
»Colonel Ruiz wurde vor wenigen Minuten abberufen, um eine
wichtige telefonische Nachricht aus Buenos Aires
entgegenzunehmen«, sagte Gamal Al-Hazimi, der Vertreter des
Mittleren Ostens.
»El Libertadors Revolutionäre machen wieder
einmal Ärger, mag ich wetten«, bemerkte Williams, der
Vertreter Nordamerikas. Er war der bestaussehende und jüngste
Mann am Tisch. Seine Haut hatte die Farbe von Milchschokolade.
»Ich hoffe, daß er nicht zu lange wegbleibt«,
meinte der Direktor.
»Wir dürfen nicht zu optimistisch sein«, sagte
Kiril Malekoff, der russische Delegierte in akzentfreiem Englisch.
»Es kommt selten vor, daß der gute Colonel sich kurz
faßt.«
Die übrigen Mitglieder der Tafelrunde kicherten
höflich.
Während sie die üblichen Artigkeiten austauschten und
auf Colonel Ruiz warteten, dachte De Paolo bei sich: Wie sie sich
alle gleichen, und doch, wie verschieden sie sind. Der Neue
Internationalismus mit all seinen paradoxen Schattierungen.
Jeder stammte aus einem anderen Winkel der Welt: der Araber mit
dem tabakfarbenen Teint, der braunhaarige Chinese, der schwarze
Afrikaner, der rothaarige Russe, der blonde Däne und der
dunkelhäutige Amerikaner. Doch alle trugen das gleiche graue
Gewand mit dem konservativen Schnitt. Die Farbe ihrer Kleidung war
weniger verschieden als ihre Hautfarbe. Und es waren lauter
Männer. Wir lassen es immer noch nicht zu, daß Frauen
in die Positionen des Exekutivrates aufsteigen. Das wäre einfach
undenkbar.
Nach einigen Minuten sagte De Paolo: »Ich fürchte, wir
müssen ohne Colonel Ruiz anfangen.«
Das Gespräch um den Tisch verstummte, und alle wandten sich
erwartungsvoll dem Direktor zu.
»Ich habe diese Sondersitzung des Exekutivrates einberufen,
um mit Ihnen die Ergebnisse Ihrer Untersuchungen bezüglich
unzulässiger und illegaler Wetterveränderungen
persönlich zu besprechen. Was haben Ihre Geheimdienste
aufgedeckt?«
Einer schaute den anderen an, und die Männer erinnerten De
Paolo an sechs kleine Schuljungen, denen ihr alter Lehrer eine
schwerwiegende Frage stellt.
Chiu Chan Liu sprach als
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