Die Kolonie
Dschungel-Tarnfarben.
Emmanuel De Paolo saß gespannt am gebogenen Tisch seines
Privatquartiers im Überschallflugzeug. Das Abteil wirkte wie
eine wattierte Schachtel, selbst die Wände waren dick tapeziert.
Aber das Abteil war eng und bot kaum Platz für die sechs
Personen, die am Tisch mit der gemaserten Kunststoffplatte Platz
nehmen sollten. Doch es machte nichts aus. An dieser Besprechung
würden nur zwei Personen teilnehmen.
Der Direktor der Weltregierung lugte durch eines der winzigen
ovalen Fenster auf das gewaltige Militärflugzeug, das neben
seiner Maschine parkte. Militärische Tarnung, dachte er. Wie wenig originell. Wahrscheinlich trägt er Khaki-Uniform
und eine rote Baseballmütze.
Paolos Adjutant trat geräuschlos ins Abteil, nur die Tür
fiel leise hinter ihm ins Schloß.
»Seine Leute haben angerufen. Sie sind damit einverstanden,
daß er in Ihre Maschine kommt. Er wird in fünf Minuten da
sein.«
Der Direktor nickte seinem äthiopischen Adjutanten zu.
»Also haben die Diplomaten das Protokoll festgelegt. Immerhin,
ein erster Schritt.«
Der Adjutant lächelte mit seinen weißen Zähnen im
dunklen Gesicht. »Die Reihenfolge wurde bereits früher
festgelegt: Das hier ist ein Territorium der Weltregierung, daher
sind Sie der Gastgeber, folglich muß er zu Ihnen kommen. Doch
das Abendessen findet an Bord seiner Maschine statt, also
müssen Sie zu ihm rüber.«
De Paolo zuckte die Achseln. »Nichts als Mätzchen«,
knurrte er.
Der Adjudant zog sich zurück, und der alte Mann war wieder
allein. Welchen Weg hat jeder von uns für dieses Treffen
zurückgelegt? Sechstausendfünfhundert Kilometer?
Siebentausend? Was hätten die Diplomaten getan, wenn es diesen
Punkt nicht gegeben hätte, der von Messina und Buenos Aires
ziemlich gleich weit entfernt lag?
Jemand klopfte leicht an die Tür. Und bevor De Paolo
überhaupt aufblicken konnte, stieß der Adjutant die
Tür auf und meldete: »Colonel Cesar Villanova, Euer
Exzellenz.«
De Paolo erhob sich, wobei sich seine paarundachtzig Jahre in der
Steifheit seines Rückens und seiner Beine deutlich bemerkbar
machten.
Villanova trat vorsichtig ins Abteil und blickte sich um wie eine
Katze, die in eine fremde Umgebung versetzt wird.
Er sah bei weiten nicht so aus, wie De Paolo ihn sich vorgestellt
hatte. Er war zwar hochgewachsen, aber doch stämmig wie ein
Arbeiter. Er hatte eine vorspringende Adlernase, gebogen wie die
eines Indianers aus den Anden. Seine Hände waren hart und
schwielig, doch seine Stimme war sanft und erinnerte fast an das
Gurren einer Taube.
»Ich habe die Ehre Señor Director«, sagte er auf
Spanisch, und in seiner Stimme schwang etwas vom Echo der hohen Berge
und der Akzent eines Rinderhirten mit.
Das ist kein Stadtmensch, stellte De Paolo fest.
»Die Ehre ist ganz meinerseits«, gab der alte Mann
zurück. »Es war sehr freundlich von Ihnen, diesem Treffen
ohne Zögern zuzustimmen.«
Villanova nickte kaum merklich. Seine klaren Augen leuchteten in
hellem Grau, sein dichter Haarschopf war eisgrau. Er trug zwar eine
Uniform, aber sie war dschungelgrün und sauber
gebügelt.
»Bitte, nehmen Sie Platz.« De Paolo deutete auf die
gepolsterten Plastiksessel. »Übrigens… meine Leute vom
Protokoll sind etwas verlegen, was die Anrede betrifft. Wir wissen,
daß Sie bis vor wenigen Jahren Colonel der chilenischen Armee
waren. Doch jetzt…?
Haben Sie als Haupt der neuen argentinischen Regierung irgendeinen
Titel erworben?«
Villanova schüttelte den Kopf und erwiderte sanft:
»Exzellenz, ich bin kein Verwaltungsmensch, nur Soldat. Ich
möchte nicht in Simon Bolivars bedauerlichen Fehler
verfallen.«
»Aber Sie benutzen doch seinen Titel.«
»Mein einziges Zugeständnis.« Er lächelte
dünn, fast verlegen. »Der einzige Titel, den ich mir
wünsche, ist El Libertador.«
»Ich verstehe.«
Villanova nickte erneut.
»Darf ich Ihnen etwas anbieten? Einen Drink, einen
Imbiß?«
»Nein, danke.«
De Paolo betrachtete den Mann einen Augenblick lang. Nach
seinen Akten ist er zweiundfünfzig, aber er sieht bedeutend
jünger aus.
»Ich möchte«, sagte Villanova, »gern den Zweck
dieser Zusammenkunft erfahren. Meine Ratgeber ließen mich
wissen, daß dieses Treffen Ihr persönlicher Wunsch
war.« Er lächelte, diesmal ironisch. »Einige meiner
Freunde haben mich gewarnt zu kommen. Sie befürchten irgendeine
Falle.«
De Paolo lächelte zurück. »Eine besonders listige
Falle«, meinte er. »Ich möchte Ihr Herz
betören.«
El Libertador
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