Die Kometenjäger: Roman (German Edition)
er sich nicht. Sein Blick war zugleich wach und leer, eine traumlose Wachheit, wie bei einem Kind, das zum ersten Mal die Augen aufschlägt.
»Du hattest Recht«, sagte Tom.
»Natürlich«, sagte ich. »Du hättest das Licht nicht ausmachen sollen.«
»Nein, ich meine, du hattest mit allem Recht. Mit den Kometen. Sie werden von Automaten gefunden. Von Computern.«
»Schön, Tom.«
»Und alles andere auch. Exoplaneten, dunkle Materie …«
»Ja, Tom.«
»Wir können nichts dagegen tun. Unsere Augen sind für so was einfach nicht gemacht. Verstehst du?« Ich bildete mir ein, Tränen auf seinen Wangen zu sehen.
»Du solltest deine Sachen aus dem Auto holen.« Ich wandte mich von ihm ab und ging die Straße hinauf.
»Was machst du?«, rief er.
»Ich versuch das erstbeste Auto anzuhalten.«
»Warte.« Er stand auf.
»Nein. Du kannst das nächste Auto nehmen. Wir reisen ab hier getrennt.«
Er sah mich hilfesuchend an, aber ich ging die Straße hinauf und drehte mich nicht mehr nach ihm um.
KAPITEL 1
D ie Busse in die großen Städte fuhren alle zur Mittagszeit. Über ihren Frontscheiben konnte ich die Schilder mit den Reisezielen lesen. Las Vegas, Los Angeles, Albuquerque, Phoenix. Vier parkende Busse in einer Reihe. Ich stellte meine Sporttasche ab und sah mich um. Da mir noch etwas Zeit blieb, ging ich zum Kiosk neben dem Tickethäuschen, kaufte mir eine »USA Today« und überflog die Nachrichten des Tages: Der Präsident reiste, Israel drohte, der Iran beschwichtigte, Kobe Bryant triumphierte, Toyota vermeldete Rekordumsätze. Nachrichten vom Planeten Erde, dem ich so lange den Rücken gekehrt hatte. Aber jetzt nicht mehr. Es war elf Uhr mittags am Tag eins ohne Tom.
Ich hatte eine unruhige Nacht hinter mir. Nachdem ich nachts im Canyon das erstbeste Auto auf der Straße angehalten hatte – ein Rentner in Forstarbeitermontur, der nach Flagstaff wollte –, waren Tom und ich getrennt worden. Mein hilfloses Touristenkauderwelsch hatte den Rentner davon überzeugt, dass ich wirklich dumm genug war, mich nachts im Canyon zu verlaufen. Tom hatte wahrscheinlich weniger Glück gehabt. Jedenfalls tauchte er nicht im Motel auf, was mir recht war. Nach meiner Rückkehr hatte ich die Tür hinter mir geschlossen und die Dusche angestellt. Während ich im Bad meine Hand in den wärmer werdenden Strahl hielt, spürte ich, wie mir schlecht wurde. Ich ließ das Wasser laufen, ging zum Kühlschrank und öffnete ein Bier. Die Dose fiel mir aus der Hand. Ohne reagieren zu können, sah ich zu, wie sich der Inhalt auf den Teppich ergoss. Ich zitterte am ganzen Körper.
Morgens um neun nahm ich endlich eine heiße Dusche. Ich hatte wenig geschlafen, war aber hungrig. Da Tom immer noch nicht aufgetaucht war, fragte ich an der Rezeption, ob jemand für mich angerufen habe. Sie hatten nichts gehört. Selbst wenn man die Dauer der Bergungsarbeiten großzügig berechnete, hätte er längst wieder auftauchen müssen. Vielleicht hatte er sich damit abgefunden, allein weiterzureisen. Oder er wollte mich auch nicht mehr sehen. Ich frühstückte eine doppelte Portion Rührei, schenkte mir selbst Kaffee nach, bis meine Handflächen schwitzten und versuchte alles in Ruhe zu überdenken. Dann kehrte ich ins Zimmer zurück, packte in kurzer Zeit alle Sachen in meine Sporttasche und verschwand.
Der Freeway 17 sah aus wie eine deutsche Autobahn. Vier Spuren und dazwischen ein breiter grüner Mittelstreifen. Lastwagen blockierten die rechte Spur. Rimrock, Lake Montezuma, Camp Verde sagten die Schilder. Grüne Hänge mit Wacholderbäumen und Kiefern zogen vorbei und blühende gelbe Blumen am Straßenrand. Ich hatte mich für den Bus nach Phoenix entschieden. Nach Las Vegas hatte mir nicht der Sinn gestanden. Albuquerque sagte mir nichts. Und in Los Angeles musste ich erst in zwei Tagen sein. Vorn im Bus liefen Sitcoms, die ich nicht kannte, auf einem kleinen Fernseher. Als ich aus dem Fenster sah und mich dabei ertappte, wie ich schon wieder an Tom dachte, zwang ich mich, die Sitcom zu schauen. Sie hatte eine beruhigende, beinahe schmerzlindernde Wirkung. Worüber zerbrach ich mir jetzt noch den Kopf? Ich hatte genügend Geld, um noch ein paar Tage zu überleben. Ich hatte keinen Plan und keine Pflichten mehr. Ich war ein Tourist in diesem großen Land. Konnte ich nicht tun und lassen, was ich wollte?
Phoenix war wirklich einzigartig: eine Stadt, die lebensfeindlicher aussah als die Wüste, in deren Mitte sie lag. Auf der letzten
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