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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Deckert
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etwas, das nicht nachgab, und wir standen.
    Ich hing in meinem Gurt, den Kopf nach vorn gesenkt, wie jemand, der sich übergibt.
    Neben mir hörte ich eine Bewegung.
    »Tom?«, fragte ich leise.
    »Ja.«
    Ich versuchte meinen Hals zu bewegen. Das tat im Nacken weh, aber war erträglich. Meine Rippen schmerzten auch, aber ich tastete meinen Körper ab und bemerkte kein Metallteil, das mich durchbohrte. Ich bewegte meine Zehen. Sie waren noch da.
    »Wie geht’s dir«?«, fragte ich.
    »Wir leben noch«, sagte Tom eigentümlich überrascht.
    In der Nähe hörte ich das Rauschen eines Bachs. Mit einem Handgriff versuchte ich, den Gurt zu lösen. Als die Schnalle sich öffnete, rutschte ich nach vorn. Ich stemmte mich mit den Beinen gegen den Boden und versuchte die Beifahrertür zu öffnen. Sie war unversehrt und ging leicht auf. Der Bach war nicht in der Nähe, sondern direkt unter uns. Da mir ohnehin nichts anderes übrig blieb, hüpfte ich hinaus in das kalte Wasser, das mir bis zu den Knien reichte, und betrachtete die Lage unseres Autos. Die Hinterräder standen noch an Land, auf dem steinigen Flussufer, der Kühler mit den Vorderrädern war vollständig untergetaucht. Ein Scheinwerfer funktionierte plötzlich, weiß Gott warum, und erhellte das schwarze Gewässer wie einen geisterhaften Swimmingpool.
    »Hilf mir mal«, rief Tom. Sein Gurt wollte sich nicht lösen. Ich musste auf die Fahrerseite hinüberwaten, wo er hilflos in den Seilen hing. Wasser sickerte auf seiner Seite in den Wagen und benetzte den Fußboden.
    »Die Airbags sind gar nicht aufgegangen«, bemerkte Tom, als ich versuchte, ihn zu befreien.
    Der Boden unter seinen Füßen wurde immer nasser. Endlich bekam ich Tom heraus, er sprang ebenfalls in den Fluss und sah verwundert an sich herab.
    »Dass wir das überlebt haben«, sagte er.
    Ich habe eine anerzogene Hemmung, Menschen ins Gesicht zu schlagen. Schon oft hatte ich es tun wollen und nicht fertiggebracht. Auch jetzt nicht: Ich schlug Tom mit der Faust in den Unterleib, so dass er sofort zusammensackte und mit dem Oberkörper in den Fluss fiel.
    »Bist du …?« Er stand triefend auf und brachte nicht mehr als diese zwei Wörter heraus.
    »Du wolltest uns umbringen, du Arschloch«, schrie ich ihn an.
    »Der Beifahrer soll nie das Lenkrad anfassen«, stöhnte er.
    »Du wolltest in den Himmel, du blödes Arschloch!«
    »Ich hatte alles im Griff«, stöhnte er. »Ich hab die Straße gesehen.«
    »Oh ja, Tom der Wunderknabe. Tom, das Riesenarschloch! Nichts hast du gesehen.«
    Er schleppte sich aus dem Wasser, gebeugt und triefend, und setzte sich auf die Kieselsteine am Ufer.
    »Es war blöd«, stöhnte Tom. »Es ist meine Schuld.«
    Seine plötzliche Einsicht beruhigte mich ein wenig. Ich sagte nichts und betrachtete den Wagen. Absurderweise sah er noch fahrtüchtig aus. Ich fragte mich nur, wie wir ihn aus dem Fluss herausbekommen würden. Die Straße war gut fünfzehn, zwanzig Meter entfernt.
    »Den normalen Abschleppdienst können wir uns sparen«, sagte ich.
    »Ja«, sagte Tom leise. »Es war blöd.«
    »Nichts zu machen«, sagte ich und setzte mich in den Kies.
    Ich habe nie verstanden, warum Menschen an Unfallstellen stehen bleiben und gaffen. Jetzt, an unserer eigenen Unfallstelle, fiel mir jedoch auch nichts Besseres ein. Wir waren mitten in der Wildnis. Wir hatten kein Mobiltelefon. Die Situation war so verfahren, ich blieb einfach nur stehen und betrachtete unser Werk, fotogen wie ein arrangiertes Stilleben: das von dunklem Wasser umspülte Wrack und die rötlich abgetönte schimmernde Lichtblase, die der einzelne Scheinwerfer auf den Grund zeichnete.
    Ich lauschte in die Nacht hinein. Seit unserem Unfall war oben auf der Straße nicht ein einziges Auto vorbeigekommen. Die Zacken der Berge standen schwarz und gewaltig vor dem überreichen Sternenhimmel.
    Ich raffte mich auf, watete noch einmal in das Wasser und zog mich durch die Beifahrertür hinauf. Dann fingerte ich mit viel Mühe das Wichtigste aus dem Handschuhfach, dem Türfach und von der Rückbank. Ich nahm Geld, meine Kamera und eine Taschenlampe. Reiseführer, Karten und den restlichen Kram ließ ich einfach liegen. Auf dem Rücksitz war noch ein Rucksack von mir. Ich schulterte ihn, schleppte alles durch den Fluss und über die felsige Böschung zur Straße hinauf. Tom saß immer noch am Ufer und sah so starr und ausdauernd zu den Sternen, als müsste er Abschied nehmen. Als ich ihn mit der Taschenlampe anleuchtete, beschwerte

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