Die Kometenjäger: Roman (German Edition)
stehe.
Den Rest des Vormittags verbrachte ich damit, in einem steinigen Buschland zwischen wirklich großen Kakteen umherzuwandern und meinen Hals nach kleinen, weißen Blüten zu recken. Der Saguaro-Nationalpark umfasste einen Teil der ansteigenden Hügel und Berge östlich von Tucson. Ein Parkaufseher erklärte uns in einer Einführung, wie sensibel die Kakteen seien. Sie brauchten zehn Jahre um zehn Zentimeter groß zu werden, und siebzig Jahre, um ihren ersten Arm auszutreiben. Die ausgewachsenen Exemplare des Parks hatten Geronimo, den Apachenhäuptling, erlebt, die Abspaltung Arizonas vom Staat New Mexico, zwei Präsidenten namens Roosevelt, und jetzt standen sie immer noch da und blühten für uns Touristen.
Mittags schlossen sich die Blütenkelche der Kakteen, und es wurde sehr heiß. Ich rief die Airline an und fragte, ob es möglich sei, meinen Linienflug um zwei, drei Tage zu verschieben. Sie nannten mir die Gebühr. Die Entscheidung konnte sogar bis morgen Mittag warten.
In guter Stimmung betrat ich eine Autovermietung in der Nähe, legte meine Kreditkarte auf den Tresen – sie musste bald am Limit sein – und lieh mir einen Chrysler.
Ich hatte kein Ziel. Ich wusste nur, dass ich weiter hinaus wollte, irgendwohin, wo keine Parkaufseher mehr waren.
KAPITEL 2
D ie Farbe der Landschaft um Tucson ist ein unfruchtbares Hellbraun. Man bewegt sich durch eine verdünnte Wucherung von Zivilisation: Reklametafeln, Mustersiedlungen, Malls und Tankstellen, die scheinbar wahllos über die ausgedehnte Ebene verstreut sind. Blattlose niedrige Bäume und Sträucher stehen schwarz und dürr unter dem grellen Sonnenlicht, das Grasland ist gelb wie Stroh. Die einzigen grünen Tupfer kommen von den Yuccas, die am Straßenrand wachsen, Stämme wie Totempfähle, gekrönt von einem Büschel aus dolchartigen Blättern.
Jenseits der Vororte, wenn die Häuser verschwunden sind, bleibt nur noch die zweispurige Straße. Sie trifft die Berge und schneidet zwischen Hügeln in ausgewaschenen Erdtönen hindurch. Im Vorbeifahren glaubt man, Reste alter Siedlungen in den lehmigen Hängen zu erkennen, Reihen dunkler Felslöcher, Eingänge und Fenster, eine reine Einbildung sicher.
Wie weit ich fahren werde, weiß ich nicht.
Meine Karte sagt, dass der Interstate 10 über hunderte von Meilen parallel zur mexikanischen Grenze verläuft, man kann ihm nach Osten folgen in Richtung New Mexico oder nach Süden abzweigen in Richtung der Grenze. Aber in fünfzig Meilen kann ich mich immer noch für eine Route nach Süden entscheiden. Warum nicht einfach geradeaus fahren?
Die Vegetation ändert sich kaum, so dass fünfzig Meilen wirken wie fünfzehn. Niedrige Sträucher bedecken große Flächen, dazwischen wachsen vereinzelt Kakteen und spitzblätt rige Agaven. In ausgetrockneten Flussbetten wurzeln kahle Bäume. Manchmal überquert die Straße einen Flusslauf, der noch Wasser führt, und schlagartig wird alles wieder lebendig. Grüne Bäume tauchen auf. Weiden und Pappeln, sogar Eichen biegen sich schwer und sehnsüchtig dem Lauf des Wassers entgegen; immer nur ein grüner Streifen, der das Land durchquert wie ein Faden.
Hinter der Stadt Benson ein neuer Anblick: »Dragoon Mountains «, steht auf meiner Karte. Ein seltsamer Märchengarten aus massiven runden Granitfindlingen, die übereinandergehäuft oder einzeln herumliegen, große sandfarbene Gebilde aus Stein, die weich und lebendig wirken – eine Landschaft wie eine Organbank für Riesen. Dann lange nichts mehr. Die Wüste vermindert sich, erreicht einen neuen Grad der Reinheit. New Mexico kündigt sich an, die Heimat der Atombombe und der UFO-Verschwörungen. Die ganze Landschaft ist vom Verschwinden bedroht, und die Sträucher sind noch fremder als alles bisherige, Ruten, die wie bleiche Spinnen aus dem Boden kriechen. Der Blick geht in eine unbestimmte Ferne, auf einen orangeroten Streifen von Bergen.
Etwa zehn Meilen vor der Bundesstaatengrenze stoße ich noch einmal auf grüne Vegetation. Die Siedlung San Simon liegt direkt am Freeway. Hier wird industrielle Landwirtschaft im großen Stil betrieben. Die Felder dehnen sich weit nach Süden aus, dazwischen führt eine geteerte Straße zu einer fernen blauen Bergkette. Auf meiner Karte von Arizona, ganz in der unteren rechten Ecke, stehen zwei Ortsnamen: Portal und Paradise. Wahrscheinlich liegen sie hinter den Bergen. Wenn ich die Straße nehme, müsste ich in Portal oder in Paradise landen. Aber warum sollte ich?
Ich fahre
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