Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Deckert
Vom Netzwerk:
schwarzgefärbten Haarsträhnen, die so fotogen über die Augen hingen.
    Ich ließ mich auf einem Barhocker nieder, bestellte ein Bier und betrachtete das Publikum. Die Gäste waren mir ausnahmslos sympathisch. Selbst die Hotelgäste, die sich wohl nur zufällig hier hineinverirrt hatten, waren akzeptabel. Zum ersten Mal seit längerer Zeit fand ich mich in einer wirklich vertrauten Situation wieder – und bemerkte, wie angenehm das war. Herr der Lage! Ich trank mein Bier und hätte dabei fast wohlig geseufzt. Mit jedem Schluck kamen mir die Ereignisse in Los Angeles und Flagstaff unwahrscheinlicher vor, die Menschen, die wir getroffen hatten unwirklicher. Auch die anschließende Nachtfahrt mit Tom erschien mir wie ein wilder Traum. Jetzt erst sickerte mir langsam ins Bewusstsein, mit wie viel Glück wir einem qualvollen Ende in einer Felsspalte entronnen waren. Ehe die Wut auf Tom wieder hochkommen konnte, bestellte ich mir noch ein Bier und trank ruhig weiter.
    Die Band hatte vier oder fünf Stücke gespielt, als ich einen Haufen Trinkgeld liegen ließ und aus der Bar ins Freie trat. Vom Dach des Hotels leuchtete ein roter Neon-Schriftzug herab und tauchte die kleinen Menschentrauben auf dem Gehweg in ein pastelliges Rosa. Ich ging ein Stück die Straße entlang, durch das, was das historische Zentrum von Tucson sein musste. Eine bunte Ansammlung von Steinhäusern mit unterschiedlichen Traufhöhen; nichts davon wirkte verschönert oder aufpoliert. Alles schien nach wie vor einem Zweck zu dienen: Läden, Werkstätten, Drugstores, Büros, von Geschäftsleuten solide hingemauert im frühen 20. Jahrhundert. Und in keinem einzigen Haus war ein überflüssiger Antiquitäten-Store. Stattdessen fand ich Gitarrenläden und noch mehr Bars. Neben den geöffneten Türen waren Schiefertafeln aufgestellt, die das musikalische Programm oder Getränke-Specials ankündigten. Ich betrat eine Bar mit einer Bühne, kaum größer als mein Zeichentisch. Fünf langhaarige junge Männer spielten Metal, ohne sich dabei zu bewegen. Nur die Finger rasten über die Griffbretter. Mit der ersten Welle von Gästen, die weiterzogen, ließ ich mich wieder nach draußen spülen. Direkt nebenan war ein Lokal, ein typisch amerikanisches Diner. Menschengruppen strebten aus allen Richtungen dem Eingang zu. Ich folgte ihnen, nahm in einer Nische an der Wand Platz und bestellte einen Cheeseburger. Während ich wartete, kamen und gingen kleine Gruppen von Konzert- und Barbesuchern durch den Gang an meinem Tisch vorbei. Die Schwarzgefärbten und Schwarzgekleideten waren stark vertreten. Goths aus Arizona: Western-Vampire in staubigen Mänteln. Zum Cheeseburger trank ich Kaffee. Bier wurde in dem Diner nicht serviert. An meinem Tisch lagen ein paar studentische Zeitungen aus, in denen ich blätterte, aber ich war zu müde, um mich in Texte über Bands und lokale Kulturangelegenheiten zu vertiefen. Das Wissen, dass sie geschrieben wurden, reichte mir.
    Angenehm abgefüllt mit Kalorien, Beobachtungen und Buchstaben überließ ich mich wieder der Nacht. Für die Wüstenkälte Arizonas war meine Jacke zu leicht. Trotzdem machte ich noch einen Umweg, spazierte die Congress Street hinunter, bis das alte Viertel in einen Bezirk mit Regierungspalästen und Hochhäusern überging.
    In der Hotelbar war gegen eins noch Betrieb. Die Band hatte sich verzogen, jetzt legte ein DJ auf, das Publikum von vorhin war einem beliebigen Partyvolk gewichen. Ich beschloss, dass der Abend für mich zu Ende war. Auf dem Weg zu meinem Zimmer im ersten Stock kam ich an einer Fernseh- und Computernische vorbei. Drei Mädchen im Collegealter saßen auf dem Sofa herum und sahen mit vor Müdigkeit kleinen Augen eine Arztserie mit eingespielten Lachern. Für eine Sekunde dachte ich darüber nach, sie zu einem letzten Getränk an der Bar zu überreden, aber so etwas hatte ich noch nie gekonnt, und wozu auch? Alles war in Ordnung. Es ging mir gut.
    Am Morgen leuchtete wolkenloses Arizona-Blau durch meine Jalousie. Frisch und ausgeruht erkundigte ich mich bei der Rezeptionistin, die an die gestrige erinnerte, aber schwarze statt dottergelbe Haare hatte, nach möglichen Ausflugszielen in der Umgebung.
    »Gut dass Sie fragen!«, sagte sie mit einem unwirklichen Strahlen, in dem sich der ganze Optimismus Amerikas zu bündeln schien. Die Kaktusblüte habe gerade eingesetzt. Am besten solle ich in den Saguaro-Nationalpark fahren, das heiße, natürlich nur, wenn mir der Sinn nach Kakteen

Weitere Kostenlose Bücher