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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Deckert
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Etappe vor unserer Ankunft grüßten wieder Saguaro-Kakteen mit erhobenen Armen vom Straßenrand, dann stieß die Straße hinab in ein versengtes, salzverkrustetes Becken, quälte sich durch lange Vorortketten, wurde zur Stadtautobahn, führte uns an großen kleeblättrigen Autobahnkreuzen vorbei und entließ uns in ein Downtown-Niemandsland aus Glas und Beton. Ich hatte nie eine Stadt gesehen, die ich weniger dringend kennenlernen wollte.
    Gegen sechs am Abend fuhr noch ein Bus nach Tucson. In der Wartehalle lagen ein paar zerfledderte Prospekte aus, die von Tucson schwärmten. Sie kamen zwar vom Fremdenverkehrsamt, aber ich überlegte nicht lange.
    An diesem Abend war der Himmel über der Wüste weit und violett, eine pure Farbwoge vor meinem Fenster, so dramatisch, als müsste der Leere der Sträucher und Steine mit aller Macht ein Effekt entgegengesetzt werden. Auf dem kleinen Bildschirm vorn im Bus liefen immer noch Serien. Der Ton war sehr leise eingestellt, so dass ich den Geschichten nicht folgen konnte. Irgendein Highschool-Szenario. Blonde Cheerleader verkörperten den Typus, der über Leichen ging. Die anderen waren Unschuldslämmer mit rehbraunen Augen. Ich fragte mich, welche Rolle Claire in einer Serie bekommen hätte. Wahrscheinlich die Rolle des geheimnisvollen Mädchens, das Narben hinterließ. Aber mich würde sie in der Serie nicht treffen. Ich spielte in keiner Geschichte mehr mit.
    Um kurz vor acht kamen wir in Tucson an. Ich wusste noch nicht einmal, wie man den Namen der Stadt aussprach, stellte aber schnell fest, dass es mir hier gefiel. Nachdem wir die übliche Peripherie mit ihren Malls und Fastfood-Tempeln hinter uns gelassen hatten, hielt der Bus auf einem Privatparkplatz, irgendwo in der Innenstadt. Ich packte meine Tasche, ging ein Stück und stand plötzlich in einer belebten Straße voller Bars. Gruppen junger Leute im Collegealter schlenderten auf und ab. Aus geöffneten Türen drang Musik. Die erstbeste Gruppe, die mir entgegenkam, fragte ich nach einem Hotel. Sie waren sich alle einig: Nur das »Congress« komme in Frage. Da das Hotel in Gehweite zu liegen schien, schleppte ich mein Gepäck zu Fuß dorthin und erlebte die nächste angenehme Überraschung. Ich stand vor einem schönen alten Backsteingebäude mit Messingschwingtür. In der Art-déco-Lobby waren haupt sächlich junge Leute unterwegs, aber auch ein paar ältere Paare. An der Rezeption mit einer antiken Telefonzentrale stand eine junge Frau mit Nasenring und kurzen dottergelben Haaren. Während sie mir ein freies Zimmer suchte, las ich die Gedenktafel an der Wand, die an den großen Hotelbrand von 1919 erinnerte. John Dillinger, der berühmteste Bankräuber Amerikas, war damals mit seiner Bande im Congress untergetaucht, behauptete die Tafel. Das Zimmer, das ich bekam, hatte ein Original-Eisenrohrbett, ein Mahagoni-Nachtkästchen und ein Bakelit-Telefon mit Wählscheibe. Ich legte mich hin, schloss die Augen und vergaß augenblicklich, dass ich gerade mit dem Bus von der Autobahn gekommen war. Ich fühlte mich wie ein Handelsreisender von der Ostküste, der mit dieser neuen Erfindung reiste, der Eisenbahn.
    Aus den Eingeweiden des Hotels kam ein dunkles regelmäßiges Pochen. Unten im Keller musste eine Rockband spielen. Hatte sie mich aufgeweckt? Vielleicht. Durch die Wände nahm ich nur das Hüpfen des Basses und den gleichförmigen Puls des Schlagzeugs wahr. Ein urvertrautes Geräusch – wie an der Kasse eines Rockkonzerts vor der noch verschlossenen Tür. Ich hörte ein bisschen zu. Dann holte ich eine Jacke aus der Tasche, warf einen Blick in den Spiegel und ging nach unten.
    Die Band spielte nicht im Keller, sondern in einer Bar, die direkt an die Lobby des Hotels grenzte. Da der Eintritt für Hotelgäste den Preis eines Biers nicht überstieg, ging ich durch die Verbindungstür und sah mich ein wenig um. Es war ein angenehmer kleiner Club, gut gefüllt mit jener Art junger Gäste, deren Stammeszugehörigkeit man überall sofort erkannte, egal in welchem Land der westlichen Welt man unterwegs war: Es waren die Musikliebhaber, Käufer von Musikmagazinen, Hörer des Collegeradios und ewigen Aufspürer neuer Bands. Hagere junge Männer mit reizenden Freundinnen, die sich Mühe gaben, wenigstens ein bisschen ungesund auszusehen. Die Band auf der Bühne spielte irgendeinen alternativen Country-Rock. Vielleicht spielten sie auch normalen Country-Rock und sahen nur alternativ aus mit ihren schmalen Jeans und ihren

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