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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Deckert
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Instinktiv folgte ich. Wir hetzten zwischen schwarzem Mauerwerk und blinden Fenstern hindurch bis zu einem kleinen Platz, der aussah wie eine Baustelle. Ein paar schwere Maschinen zwischen zugefrorenen Dreckpfützen und mit Eis überzogenen Schutthalden. Unter den Maschinen, dort wo kein Schnee hingelangt war, schauten braune Erde und Kies hervor. Aber das entscheidende Detail war ein vielleicht drei Meter hoher Maschendrahtzaun, der den Platz umschloss – und zwar ganz. Ich rannte den Zaun entlang, vergeblich, es gab keine Lücke. Nur ein Einfahrtstor, das so aussah, als könnte man es erklettern. Ohne nachzudenken, sprang ich dagegen, zog mich an den Stangen hoch und versuchte darüberzufassen. Auf der oberen Querstange fasste meine Handfläche in eine Metallspitze hinein. Ich schrie auf und ließ mich wieder zu Boden fallen. Im selben Moment tauchten unsere Verfolger auf. Sie bogen in die Gasse ein und gingen in unsere Richtung. Ohne zu rennen. Das hatten sie auch nicht mehr nötig. Meine Hand pochte. Im Licht der Sterne konnte ich sehen, dass sie mit dunkler Flüssigkeit überströmt war. Fast hätte ich lachen müssen. Tom hatte Recht. Selbst in einer mondlosen Nacht konnte man noch die Hand vor Augen sehen.
    »Scheiße«, keuchte ich. »Das war’s.«
    Tom antwortete nicht. Er tat auch sonst nichts. Er stand nur herum und starrte angestrengt ins Dunkel. Ich wollte ihn gerade ohrfeigen, da sagte er leise: »Da drin verstecken wir uns«, und setzte sich wieder in Bewegung. Vor der Halle war eine betonierte Ladezone mit heruntergelassenen eisernen Garagentoren. Weiter hinten ging es zu einem kleinen dunklen Abstellplatz, auf dem einige Lastwagenanhänger herumstanden. Was »da drin« bedeuten mochte, verstand ich nicht. Vielleicht konnten wir unter einen Anhänger kriechen und so den Moment unserer Entdeckung etwas hinauszögern. Aber Tom ignorierte den Parkplatz. Er steuerte auf ein dunkles massiges Objekt zu, das am Rande der Ladezone stand. Eine Baggerschaufel. Sie lag auf der Seite und war nicht ganz geschlossen, der obere und untere Kiefer der Schaufel bildeten einen Winkel. Tom versuchte sich durch den Spalt ins Innere zu quetschen, was ihm tatsächlich gelang. Ich tat dasselbe, und schließlich hockten wir mit eingezogenen Köpfen im Inneren eines großen Mauls, dessen Zähne uns schützend umschlossen.
    »Wie hast du das gesehen?«, flüsterte ich, aber er legte seinen Finger auf den Mund. Im nächsten Moment hörten wir auch schon die Männer. Ihre Stiefelschritte verlangsamten sich, als sie den Platz erreichten. Während wir wie festgefroren in unserer Hocke verharrten, knirschten ihre Schritte leise auf dem Kies. Sie überquerten den Platz bedrohlich langsam. Dann hörten wir schweres Atmen, das näher kam. Der eine Mann sagte etwas auf Russisch. Jetzt schaltete einer eine Taschenlampe an und leuchtete die Hauswände ab. Ein zweiter tat es ihm nach. Durch die Zähne des offenen Mauls sah ich die Lichtkegel wandern. Mit einem einzigen Lichtschein durch den offenen Spalt hätten sie uns sehen können. Unwillkürlich packte ich Tom bei den Unterarmen, aber er drückte sich lautlos noch tiefer in die Mulde der Schaufel. Die Stiefel kamen näher und näher, verharrten, kamen noch ein Stück näher, und entfernten sich wieder. Eine Weile hörten wir sie gar nicht mehr. Dieser unerträglich gespannte Zustand, in dem sich praktisch alles auf eine einzige überlebenswichtige Frage reduzierte, währte eine halbe Ewigkeit. Dann meinte ich, knirschende Schritte in großer Entfernung zu hören. Ein paar russische Wortfetzen drangen noch an unser Ohr. Dann waren sie weg.
    Wir warteten noch mindestens zehn Minuten in unserer kleinen Behausung. Die Hocke war nicht sehr angenehm, aber der Gedanke an das, was uns blühte, falls sie uns doch noch erwischten, verdrängte jeden Schmerz. Tom regte sich als Erster und streckte den Kopf zwischen den Zähnen der Schaufel hindurch.
    »Wir können gehen«, sagte er. Eine eigenartig sachliche Feststellung angesichts der Situation.
    Ich stand auf und betrachtete seine schattenhafte Gestalt, ohne sein Gesicht erkennen zu können. War es ein Unbekannter, der vor mir stand, ein fremdes, unberechenbares Kind, oder noch der gleiche Tom?
    Vorsichtig und mit leisen Schritten drückten wir uns an den Wänden des Fabrikgebäudes entlang, zurück durch die Gasse. Am Ausgang spähten wir in alle Richtungen. Zwischen uns und dem Parkplatz war niemand zu sehen. Dennoch umrundeten wir den Turm

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