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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Deckert
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und das Gelände in einem großen Bogen, gingen so lange über die vereisten Felder, bis wir uns dem Parkplatz von seiner dunklen Seite aus nähern konnten. In gebeugter Haltung zwischen den Autos Deckung suchend, kämpften wir uns bis zu unserem eigenen Auto durch, stiegen ein und rollten langsam vom Platz.
    Die Türsteher standen wieder in ihrem Kreis vor dem Eingang des Clubs. Einer leuchtete mit der Taschenlampe in unsere Richtung, aber Tom trat schon aufs Gas und brachte uns mit einem Satz zurück auf die Landstraße, zurück in den Schutz der Dunkelheit. Während er Tempo aufnahm, drückte ich eine Papierserviette gegen meine blutende Hand.
    Wir waren wieder auf Fluchtgeschwindigkeit.

KAPITEL 11

    W eihnachten war nah. Ich nahm meine unbezahlten Ferien, kaufte Vera Lederhandschuhe mit Lammfell futter, biss wegen des Preises die Zähne zusammen und be schloss, mich den Rest des Monats von meinen Eltern durchfüttern zu lassen.
    Silvester verbrachte ich in einer traurigen kleinen Gruppe in München. Eine Freundin von Vera, die ich ausnahmsweise mochte, gab ein Essen. Ich glaube, die Zusammensetzung der Runde war so nicht geplant gewesen. Einige hatten wohl im letzten Moment abgesagt, und schließlich blieben als Gäste nur Vera, ich, ein befreundetes Paar, zwei verzweifelte Single-Freunde, die Anschluss suchten, und Constanze und ihr Kurzzeitbegleiter Max. Er war semiprominenter Schauspieler an den Kammerspielen und hatte eine aufdringlich laute, aber charaktervoll raue Stimme. Die beiden gaben sich kaum Mühe zu verschleiern, wie sehr es sie langweilte, den Jahreswechsel in einer Verlierergruppe zu verbringen. Schon gegen zehn schlugen sie Vera vor, direkt nach zwölf in einen Club zu gehen. Ich hatte Mitleid mit unseren Gastgebern und fühlte mich verpflichtet, bei ihnen zu bleiben. Beim Rauchen auf dem Balkon stritten Vera und ich uns so sehr, dass wir uns bis zum Jahreswechsel nicht versöhnten, und später auf der Wittelsbacher Brücke, als ich Frieden schließen wollte, zündete Vera sogar ihre Raketen ohne mich an.
    Der Januar wurde nicht besser. Wir hatten beide Ferien, aber wir sahen uns kaum öfter als in normalen Arbeitswochen. Wir arbeiteten weiter an der perfekten minimalistischen Beziehung. An Sex war nicht zu denken. Ich hatte die konkrete Möglichkeit längst aufgegeben und war dazu übergegangen, mich mit herbeifantasiertem Sex zu beschäftigen. Manchmal träumte ich selbst nachts nicht mehr von Sex, sondern davon, wie ich mir Pornos ansah. Es wäre vermutlich zu leicht, all das auf Vera zu schieben. Sicher, sie hatte sich zuerst von mir entfernt, aber ich gab mir ja auch keine Mühe, unsere Beziehung zu reparieren. Ich verschob die Reparatur immer wieder auf später – auf jenen magischen Zeitpunkt, wenn ihre Arbeit endlich abgeschlossen sein würde. Dann würde alles gut werden. Die Möglichkeit, dass so bereits in der Gegenwart ein Totalschaden eintreten konnte, war mir nicht in den Sinn gekommen. Und so hatte ich jene stetige Verkümmerung unserer Beziehung zugelassen, jene Beschränkung aufs Unwesentliche, die vom Zusammensein hin zu bloßen Begegnungen, hin zu flüchtigen Treffen, hin zu Telefonaten, hin zu hastig getippten Botschaften geführt hatte. Jetzt wartete ich nur noch darauf, dass auch die Botschaften verstummten – und ich wurde nicht enttäuscht. Als zum ersten Mal eine Nacht und ein Tag ohne ein Lebenszeichen von Vera vergingen, war mir doch so etwas wie ein wacher Moment beschieden. Ich hörte das Alarmsignal. Wie weit wir es hatten kommen lassen! Ich beschloss, sie in ihrer Wohnung abzufangen. Um mit ihr zu reden, nicht um mit ihr zu streiten – bildete ich mir jedenfalls ein. Es war zwei Uhr vierundvierzig, als sie nach Hause kam.
    »Was machst du denn hier?«, fragte mich Vera, als sie mich auf der Couch in ihrem dunklen Wohnzimmer entdeckte. Sie war auf hohen Absätzen hereingestolpert, hatte ihre Tasche auf den Boden geworfen und das Flurlicht angeschaltet.
    »Ich habe mich gefragt, warum du nicht anrufst.«
    »Hätte ich mich melden müssen? Macht man das so?«
    Von uns beiden war immer sie die Ironikerin gewesen. Ich hatte das Gefühl, dass meine Anwesenheit sie blitzschnell ausgenüchtert und in Habtachtstellung gebracht hatte.
    »Ja. Das heißt in einer Beziehung.«
    Sie lachte und blieb im Türrahmen stehen. Sie roch nach Nachtleben. Ein Gemisch, das mir nach Monaten selbstgewählter Einsiedelei zwischen Bleistiften fremd vorkam: Schweiß, Rauch und verschüttete

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