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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Deckert
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der nahen Autobahn drang an mein Ohr, ein stetiges, niemals abschwellendes Rauschen. Für mich war es natürlicher als Meeresrauschen, ein Klang, der immer dagewesen war.
    Ich erinnerte mich plötzlich wieder an die vielen Feste, die hier stattgefunden hatten, verrückte, ausufernde Gelage, die uns jedes Mal Ärger mit Ulrichs Eltern eingebracht hatten. Auf einem Rasenstück in einem Winkel des Gartens hatte mir einmal ein betrunkenes Mädchen namens Isabel mit ihrer Hand schlimme Schmerzen zugefügt. Sie war bekannt dafür, den Händedruck eines Holzfällers zu haben, und ich hatte mich mit ihr in den Schutz der Dunkelheit zurückgezogen, nicht ahnend, dass sie nicht nur Hände zerquetschte. Damals war es ein großer Lacher gewesen. Je länger ich jetzt darüber nachdachte, desto deprimierter wurde ich. Brach nun erneut die Zeit solcher Dummheiten an, kleiner Episoden, die nichts hinterließen als Gesprächsstoff für betrunkene Abende mit alten Freunden? Oder hatte ich all die Jahre wie in einer Spirale durchlebt, um wieder an der gleichen Stelle zu landen: neben einer Stachelbeerhecke unter der womöglich immer noch meine eigene versteinerte Kotze von vor zehn Jahren lag? Plötzlich wurde mir klar, wie Recht Tom hatte: Was wir brauchten, war ein neuer Horizont.
    Auch in München fand ich keine Zuflucht. Ich begegnete sofort der Person, die ich am wenigsten treffen wollte. Ich überquerte den Viktualienmarkt, wie immer nur, um auf die andere Seite zu gelangen. Constanze dagegen hatte vermutlich mit Leidenschaft den ganzen Vormittag lang dort eingekauft. Sie schwebte auf mich zu, in einer Hand ein Glas frisch gepressten Saftes, in der anderen eine Papiertüte, aus der es nach Modekräutern duftete. Zum ersten Mal war ich stolz darauf, eine mit Bierflaschen gefüllte Plastiktüte in der Hand zu haben.
    »Philipp!« Sie klang, als würde sie meinen Namen aus einem zerheulten Taschentuch pressen. Dieser Tonfall war mir neuerdings bestens bekannt. Die Menschen sprachen in meiner Gegenwart wie auf einer Beerdigung, sie balsamierten mich mit Worten. Im Normalfall konnte ich es ertragen, aber das war zu viel.
    »Wie geht es dir?«, säuselte sie, ganz die barmherzige Schwester.
    »Schon okay«, sagte ich. »Du weißt ja, was los ist.«
    »Vera hat’s mir erzählt.« Natürlich hatte ihr Vera alles erzählt. Constanzes Gesicht drückte aus, welche Pein die Nachricht ihr bereitet hatte. »Es tut mir so leid.«
    »Dich hat es auch überrascht?«, fragte ich.
    »Ach ja, ach ja … Ihr wart ein gutes Paar, so was findet man selten.«
    Ich sah mich müde um, hoffte, irgendwo ein bekanntes Gesicht zu entdecken. »Findest du?«
    »Ja. Vera spricht über dich mit ganz viel Hochachtung. Ich weiß nicht, ob ich dir das sagen sollte, aber sie verliert kein böses Wort über dich.«
    »Das ist aber … lieb von ihr«, murmelte ich.
    »Ja, ihr liegt immer noch viel an dir.«
    »Dann hättest du ihr ja sagen können, dass sie einen Fehler macht.«
    Ihrer Tasche entschwebte ein Duftteppich aus Ananasminze oder indischer Hängeminze. Eine schöne Augenbraue rückte in die Höhe.
    »Ich hab mich da immer rausgehalten. Es ist ja nicht meine …«
    »Constanze«, sagte ich ruhig. »Wir können den Bullshit doch lassen. Warum schließen wir nicht endgültig Frieden und reden wenigstens ehrlich miteinander.«
    Sie betrachtete jetzt sorgenvoll die Plastiktüte in meiner Hand. »Philipp, ich weiß, dir geht’s nicht gut.«
    »Wieso? Mir geht es gut. Meine Laune wird immer besser!«
    »Hör mal. Ich wünsch dir wirklich von Herzen, dass du bald wieder auf die Beine kommst.«
    Sie ergriff die Flucht. Mit einem unvergesslich treuherzigen Augenaufschlag drückte sie mir die Hand und verschwand zwischen einem Olivenstand und der Saftbar.
    Den Rest des Monats verbrachte ich auf dem Sofa mit dem Spielfilmprogramm der Privatsender. Die Pause mit Vera zog sich hin. Wir versuchten, darüber zu sprechen, aber es war nicht möglich, weil sie jedes Mal sagte, sie wisse nicht mehr genau, was sie für mich empfinde. Manchmal wurde ich wütend und begann zu schimpfen, dann sagte sie, ich sei ein Arschloch.
    Die Röhre aus Holz und Pappe, die Tom mir geliehen hatte, stand noch immer auf meinem Balkon. Ich hatte sie seit einer Weile nicht mehr benutzt. Jeden Abend, wenn ich ins Bett ging, betrachtete ich ihre vorwurfsvolle Form unter der Decke, die ich darüber gebreitet hatte, um sie vor Regen und Schnee zu schützen.
    Aber ich war der Sache überdrüssig

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