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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Deckert
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Stille erfüllte das Observatorium. Ich hatte das Gefühl, dass die Nacht sich um mich legte und durch die Haut in meinen Körper kriechen konnte. Plötzlich glaubte ich, eine Ahnung von der Einsamkeit zu bekommen, die Tom Nacht für Nacht auf diesem Hügel umfing, und das schon seit Jahren. Es war sozusagen nur ein Vorgeschmack, ein Bruchteil, den ich kostete, aber schon das fühlte sich ungeheuerlich an. Wie konnte ich mir einbilden, etwas über Tom zu wissen?
    Ich war erleichtert, als das Knarren der Tür Toms Rückkehr ankündigte. »Hey« rief der Schatten, der durch die Tür schlüpfte – eine Teekanne in der einen, eine Plastiktüte in der anderen Hand. Den Tee goss er in zwei Tassen, die auf dem Holztisch in der Ecke standen, den Inhalt der Plastiktüte leerte er auf den Tisch. Ich hatte gehofft, dass Schokolade und Kekse zum Vorschein kommen würden, aber es waren nur Bleistifte und zwei DIN-A5 Ringbücher. Zeichenmaterial.
    »Meinst du, es lohnt sich heute?«, fragte ich ihn.
    Er sah ein wenig missmutig auf die Wolken in dem Spalt. »Wir werden schon noch eine Lücke finden.«
    Während Tom das Kuppeldach drehte, ließ ich die Flüssigkeit – es war Schwarztee – in kleinen, noch viel zu heißen Schlucken in mich hineinlaufen.
    »Tom, meistens bist du doch allein hier, oder?«
    »Ja, schon.«
    »Wäre es nicht ganz gut, mal rauszukommen? Mal was anderes zu sehen?«
    »Ich sehe jede Nacht was anderes.«
    »Du könntest mal eine Weile reisen«, fuhr ich unbeirrt fort. »Ich meine, ohne die Dunkelheit zu testen. Irgendwas machen, was dir Spaß macht. Oder dir Schulen ansehen. Vielleicht willst du ja doch noch mal studieren, und hast nur nicht das richtige …«
    »Komm schon, wollen wir noch was ansehen oder nicht?« Er schaltete das Rotlicht wieder an.
    »Ich verstehe dich nur nicht, Tom.«
    »Was verstehst du nicht?«
    »Man kann doch nicht nur von Sternenlicht leben. Du lebst hier in deinem Turm wie ein Mönch.«
    »Hör auf«, rief er plötzlich. »Hör auf!«
    Tom schwieg wieder und fixierte die Dunkelheit. Es war, als hätten meine Fragen einen empfindlichen Punkt getroffen, irgendein Zentrum, um das seine Gedanken schon länger kreisten, ohne Halt zu finden. Ich fand, Tom sah plötzlich alt und deprimiert aus für seine dreiundzwanzig Jahre.
    »Was ist denn mit dir passiert?«, fragte ich.
    Er atmete ein und wieder aus. Dann sagte er: »Ich könnte das Clark verkaufen. Ein amerikanischer Händler ist daran interessiert.«
    »Wieso willst du es jetzt verkaufen?« Ich konnte kaum glauben, was ich hörte.
    »Ich will es nicht verkaufen.«
    »Aber?«
    »Es muss irgendeine Lösung her. Meinem Vater geht es nicht gut. Ich weiß nicht, vielleicht wird er Pflege brauchen oder so was.«
    »Was hat er denn?«
    »Oh, nichts Unübliches.« Aus seinem schiefen Lächeln wurde ein hilfloses. »Ein paar Polypen, wo keine sein sollen.«
    »Ach du Scheiße. Ist es ernst?«
    »Ziemlich.«
    »Wo genau?«
    »Im Darm. Aber das ist nichts Neues. Er weiß ja schon ewig, dass er es hat.«
    Tom schluckte schwer und schob das Teleskop mit Schwung beiseite wie einen lästigen Gegenstand. Auf der Landstraße unten raste ein Auto vorbei, aus dem der gleichgültige Beat einer elektronischen Fahrstuhlmusik pochte.
    »Er muss wenigstens versichert bleiben«, sagte Tom. »Ich weiß nicht mal, ob er noch drin ist. Das weiß er selbst nicht genau.«
    »Hat er irgendwelche Reserven?«
    »Mein Vater?« Jetzt musste er kurz lächeln.
    Wir musterten uns mit einem langen Blick über die Dunkelheit des Raums hinweg – in dieser seltsamen, ernsten Verbundenheit von Freunden, die ihre Dialoge in Gedanken weiterführen können. Ich erfasste, was meine Rolle in diesem Spiel war. Ich sollte ihm bestätigen, dass die Lösung, die ihm so unvorstellbar erschien, die einzig mögliche war.
    »Also denkst du jetzt nach«, sagte ich.
    »Ja. Ich hab nachgedacht.«
    »Hat dein Vater noch andere Verwandte?«
    »Nein. Nur mich.«
    »Dann bist du verantwortlich.«
    Er setzte wieder sein Lächeln auf. Diesmal war es voller Hohn und Wut.
    »Verantwortlich? Wann hat er sich denn um mich gekümmert?«
    »Ein Mensch ist wichtiger als ein Teleskop«, sagte ich.
    Seine Augen weiteten sich. »Ein Teleskop! Es ist vielleicht das einzige Clark, das je nach Europa gekommen ist. Mein Großvater hat es selber mit dem Schiff über den Atlantik gebracht.«
    »Es ist trotzdem nur ein Teleskop, Tom.«
    »Mein Vater hätte die Warte doch am liebsten schon vor zehn Jahren

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