Die Kometenjäger: Roman (German Edition)
und betrachteten die eigenartig perfekten jungen Frauen und Männer, die auf eigens dafür geschaffenen Wegen joggten oder nahezu lautlos auf ihren Rollen vorüberglitten. Sie schwitzten, also mussten sie echt sein.
Wir überquerten den Weg und gingen über den Sandstreifen, so breit wie einige Fußballfelder, bis wir vor der schäumenden Gischt standen.
»Hallo Pazifik«, sagte ich und watete ins Wasser.
»Hallo Pazifik«, sagte Tom und blieb auf dem Trockenen stehen.
Ich kickte eine Ladung Wasser in seine Richtung.
»Was soll das?«, fragte er und nahm seine tropfende Sonnenbrille ab.
»Du bist bald ein reiches Arschloch.«
Sein Blick verfinsterte sich unmerklich.
»Was hast du?«, fragte ich. »Komm rein.«
»Die Sache ist trotzdem kein Vergnügungstrip, verstehst du?«
»Nein, natürlich nicht. Keine Sorge, Tom. Ich weiß, wie ernst das für dich ist.«
Er blieb auf dem Trockenen. »Also, was machen wir?«
»Schauen wir uns die Stadt mal an.«
Es dauerte nicht lang, bis ich meinen Irrtum bemerkte. Los Angeles war nicht nur zu groß, um »angeschaut« zu werden. Es war auch mehr ein Land als eine Stadt. Wir kreuzten von einer Verkehrsader auf die nächste, Santa Monica Freeway, Harbor Freeway, Hollywood Freeway. Vor unseren Fenstern dehnte sich der große Teppich immer weiter aus. Für mich war Los Angeles wie ein großes Puzzle aus Einzelteilen, die sich zu nichts bestimmtem zusammenfügten: Bungalows im spanischen Stil und Richard-Neutra - Häuser, Fantasie-Chateaus und Hotelburgen, die Wahrzeichen natürlich, der HollywoodSchriftzug, Capitol Records und die metallisch gepanzerte Philharmonie. Viele Teile des Puzzles hatte ich auf Bildern gesehen. Aber sie waren nur Fragmente, die im Vorüberfahren für kurze Zeit eine falsche Vertrautheit schufen, während das Ganze nie greifbar wurde. Nicht einmal die Größe der Stadt wurde je greifbar. Wie ich jetzt feststellte, täuschte das gewaltige Gebilde, das aus der Luft zu sehen war, über den wahren Charakter der Stadt hinweg. Am Boden verlor sie ihren Schrecken, aber auch ihre Macht. Man war auf die Apokalypse vorbereitet – und bekam Palmen und Vorgärten, Kreuzungen , über die Geländewagen krochen wie eine Armada sonnenbetäubter Nashornkäfer, ein gleichgültiges, goldenes Territorium, das man am besten einfach wie einen Film hinter den Autoscheiben vorbeirollen ließ.
Später, als wir an diesem schönen Nachmittag ein wenig schläfrig durch Beverly Hills fuhren, vorbei an den gusseisernen Toren der Anwesen und den hohen Hecken, kam mir der Gedanke, dass wir zwar den Kontinent gewechselt hatten, uns aber die Zeit genauso vertrieben wie immer: Wir fuhren zu viel Auto, und wir schauten auf Welten, die wir selbst nie betreten würden.
KAPITEL 2
I m Hotel hatten wir gerade genügend Zeit, um zu duschen und uns umzuziehen. Als wir erneut loszogen, mit Jacken gegen die heraufziehende Frühjahrskühle, dämmerte der Abend. Der Treffpunkt mit den Sidewalk Astronomers lag in der Richtung des Santa Monica Piers. Über die gleiche Route wie am Vormittag, durch den Canyon, gelangten wir zurück zum Pazifik. Die Luft war voller Farben. Die roten Neonreklamen der Tankstellen und Restaurants entlang des Pacific Coast Highway verschwammen in ihr, als vermischten sich Wasserfarben , und die Scheinwerfer der Autos strahlten in einem pastelligen Rosa.
Bald sahen wir das Riesenrad, ein weiß leuchtendes Ding, das im Süden über dem Wasser schwebte und sich von den tiefen Rottönen des Horizonts abhob. Es war umgeben von einer Masse aus grellem Licht, die sich, während wir uns näherten, langsam zu einzelnen Punkten, Ketten und Formationen auflöste, wie einer der Sternhaufen in Toms Teleskop.
Nachdem wir unseren Wagen auf einer der großen Asphaltflächen in der Nähe des Piers geparkt hatten, gingen wir ein wenig umher. Wir waren eine gute Stunde zu früh dran, und die Wege am Strand wirkten noch immer sehr belebt. Erst jetzt schien die Hauptzeit der Jogger und Rollschuhfahrer gekommen zu sein. Auf dem Sand, im Halbdunkel, wurden Volleyballmatches ausgetragen.
Fetzen von Popmusik kamen mit dem Wind aus der Richtung des Riesenrads. Da wir nichts Besseres zu tun hatten, schlenderten wir zu der großen Holzkonstruktion des Piers. Der ganze lärmende Vergnügungspark ruhte auf Säulen aus Stahlbeton, zwischen denen das dunkle Wasser kreuz und quer umhergespült wurde – die Geräusche des Parks vermischten sich mit denen des Ozeans, es gluckerte und hallte
Weitere Kostenlose Bücher