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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Deckert
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wie in einer Grotte, eine seltsame unterirdische Gegenwelt zu den Lichtern und der Musik droben.
    Die Sidewalk Astronomers fanden sich pünktlich ein, als die Nacht hereinbrach und sich die Spielflächen am Strand leerten. Das heißt, ich nahm an, dass es Sidewalk Astronomers waren, denn sie hatten Teleskope und sie sammelten sich auf einem Gehweg. Hinter eine Gruppe von Palmen, auf einem Asphaltplatz zwischen dem Strand und den am Freeway parkenden Autos, waren acht bis zehn Teleskope postiert, allesamt Dobsons aus Holz oder verstärkter Pappe, und dazwischen war eine fröhliche kleine Party im Gang. Frauen hatten ihre Einkaufstüten auf dem Gehweg abgestellt, um durch die Teleskope schauen zu können, ein paar Kinder tollten zwischen den Stativen herum. Die Mitglieder der Gruppe waren durch T-Shirts kenntlich, auf denen ihr Logo stand. Drüben auf der Asphaltpiste für die Sportler sah ich Jogger und Rollschuhfahrer, die ihr Fitnessprogramm unterbrochen hatten und versuchten, sich einen Reim auf das Geschehen zu machen. Ihnen erging es genau wie mir. Was ich sah, ergab einfach keinen Sinn. In meiner Lehrzeit bei Tom hatte ich eingeschärft bekommen und schließlich akzeptiert, dass wahres Sehen nur in der Zurückgezogenheit finsterer Einöden möglich war. Ich hatte gelernt, mit bloßem Auge den kleinen aber doch entscheidenden Qualitätsunterschied zwischen einem Himmel der Grenzgröße 5,5 und einer 6,5 zu würdigen. Und hier, auf einem gut ausgeleuchteten Platz vor einer Schnellstraße in Los Angeles, gab es Leute, die in scheinbarer Unkenntnis all dessen mit ihren Teleskopen auf einen in stumpfem Gelb glühenden Stadthimmel zielten und dabei nicht einmal unglücklich aussahen. Wir hörten die Ausrufe der Passanten, die durch die Teleskope etwas beobachteten. Es war ein großes »Wow« und »Oh, my god«.
    Wir mischten uns unter die Gruppe und blickten uns unsicher um. Sofort kam ein kräftiger Mann mit einem grauen Schnauzbart und Logo-T-Shirt auf uns zu und fragte, ob wir vielleicht den Mond betrachten wollten. »Ja gern«, sagte ich und folgte ihm zu einem der größeren Dobsons, stellte mich auf einen Schemel und betrachtete den Mond. Ich sah nur einen kleinen Ausschnitt seiner Oberfläche, einen zackigen Gebirgsgrat, der scharfe Schatten warf.
    »Wow, das ist sehr nah«, sagte ich pflichtgemäß.
    Tom sah sich ebenfalls den Mond an. »Sehr schön, sehr schön«, murmelte er.
    Natürlich wollte der Mann wissen, woher wir kämen. Wir sagten, wir hätten mit Sid Koenig zu tun und kamen ein wenig ins Gespräch. Er hieß Chris und erzählte, dass er tagsüber Feuerwehrmann sei und nachts Beobachter. Zu den Sidewalk Astronomers gehörte er seit ihrer Gründung. Alle zwei Wochen traf er sich nachts mit ihnen.
    »Warum machen Sie das?«, wollte ich wissen.
    »Schauen Sie sich doch um«, sagte Chris und deutete mit einem zufriedenen Ausdruck auf die kleine Party. »In den großen Städten gibt es keinen Sternenhimmel mehr. Und die Menschen gehen nicht in Observatorien. Also müssen wir die Sterne zu den Leuten bringen. Wir verstehen das als Dienst an der Öffentlichkeit.«
    Er bemerkte, dass ich Toms Blick suchte.
    »Sie mögen lachen. Aber Sie wissen nicht, wie das amerikanische Schulsystem aussieht. Eine Mehrheit der Amerikaner glaubt, die Mondphasen würden durch den Schatten der Erde entstehen! Ich sage die Wahrheit, Gentlemen. Es kam in einer Umfrage raus.«
    »Das ist in Europa bestimmt nicht anders«, bemerkte ich und nahm mir vor, demnächst über die Mondphasen nachzudenken.
    »Dann müsst ihr was daran ändern.« Chris machte eine Geste, die den ganzen Strand, die Jogger und die Radfahrer mit einschloss. »Die meisten Leute mögen keine Theorie. Aber sobald sie etwas sehen oder greifen können, wollen sie alles darüber wissen. Woraus besteht das? Warum leuchtet es? Wie weit ist es entfernt?«
    Mit einem Schulterblick fiel mir auf, dass uns ein jüngeres Paar von einem der benachbarten Wege aus beobachtete. Ein breitschultriger Mann mit der Statur eines Ringers und seine zierliche Freundin auf Stöckelschuhen. Sie waren gekleidet, als wären sie auf dem Weg in eine schicke Bar.
    »Hey, wollt ihr den Mond sehen?«, rief Chris ihnen zu. Die Frau schüttelte höflich lächelnd den Kopf. Aber der Mann zog sie an der Hand zu uns herüber. Kurz darauf hörten wir auch ihr »Woooow!«
    »Heute haben wir eine große Gruppe zusammen«, erklärte Chris fröhlich. »Je größer die Gruppe, desto mehr Leute bleiben

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