Die Kometenjäger: Roman (German Edition)
scharf?«, fragte ich.
»Nein, er sieht ja aus wie ein Donut, nicht wie ein Planet.«
Der alte Herr war hager und mochte einen halben Kopf größer sein als ich. Er hatte weißes Haar, das zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden war, und trug ein weißes T-Shirt unter einer Windjacke. Auf dem Shirt stand: »Nothing doesn’t exist.« Als er sich von dem Teleskop abwandte, sah ich in sein eigenartiges Gesicht. Es war das Gesicht eines jungen Mannes. Es trug zwar Spuren von Alter, aber sie wirkten oberflächlich und konnten seiner Erscheinung nichts anhaben.
Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen: »Sind Sie Mr. Dobson?«, fragte ich.
»Seit nahezu neunzig Jahren.«
»Gibt es Sommer und Winter auf Saturn?«
Sein stechender Blick ließ mich zusammenschrumpfen.
»Es war ihre Frage«, sagte ich und zeigte verschämt auf das Mädchen.
Er musterte sie aufmerksam. Dann entspannten sich seine Züge.
»Das ist eine gute Frage«, sagte er. »Wir sollten ein größeres Teleskop benutzen. Kommen Sie.«
Er gab ihr einen Wink und ging zu einem der großen Teleskope, die nach ihm benannt waren. Sie schenkte mir noch ein reizendes Abschiedslächeln, dann folgte sie ihm und ließ mich stehen. Ich konnte den beiden nur nachsehen. Dobson plauderte mit ihr, während er einen Schemel bestieg und das Teleskop mühelos mit ein paar Handgriffen in Stellung brachte. Sie hörte ihm lachend zu und schien ihn mit Gegenfragen zu belohnen – und dann, als sie am Okular stand, formten ihre Lippen deutlich ein »Wow«. In diesem Moment fühlte ich einen vertrauten Stich in der Brust. Ich war wieder siebzehn und auf dem Schulball. Nur diesmal tanzte das Mädchen, für das ich schwärmte, mit einem Neunzigjährigen.
KAPITEL 3
I ch erwachte wieder lange vor Anbruch des Tages. Als ich ein paar Mal vom Bett in Richtung Bad und zurück geschlichen war, sah ich, dass auch Tom wach war. Weil uns nichts Besseres einfiel, setzten wir uns wieder auf das Betonufer des Flusses, tranken Kaffee aus Dunkin-Donuts-Pappbechern und warteten darauf, dass die Sonne am anderen Ende des Tals über die braunen Rücken der San Gabriel Mountains kriechen würde. Ich starrte stumpf in das dünnflüssige Rinnsal des Flusses und brachte kein Wort heraus. Ich glaube, Tom meinte, dass ich ziemlich mitgenommen aussähe, er erwähnte irgendwas von Augenringen und grauer Gesichtsfarbe. Ich sagte ihm, dass er zu viel rede vor dem Frühstück, und er verstand.
Die Rezeptionistin taute langsam auf. Nach dem Frühstück gab sie mir noch einen Kaffee an ihrem Tresen aus und verwickelte mich in eine Plauderei. Wir schienen hier die ersten europäischen Besucher seit Menschengedenken zu sein, und als ich sie über das San Fernando Valley ausfragte, wurde sie sogar recht gesprächig. Wenn ich sie richtig verstand, hielten es viele für das wahre Los Angeles, es war jedenfalls der Teil der Stadt, in dem die »normalen Menschen« wohnten und oft auch ihrer Arbeit nachgingen. Sie sagte, im Valley zeigten sich all die typischen Probleme des Lebens in L.A. Die hohen Grundstückspreise, die hohe Verbrechensrate und der Smog. Es fehlten nur die Vorteile, die das normalerweise wettmachten, und die allesamt auf der anderen Seite der Berge zu finden seien, also die Sehenswürdigkeiten, die Kultur, der Luxus, und der Pazifik. »Das Klima ist auch nicht sehr gut. Die Berge schließen uns ein. Im Sommer wird die Luft hier viel heißer und stickiger als drüben.« Die wichtigste Einnahmequelle der Gegend waren Pornofilme, erfuhr ich, aber es gab auch noch ein paar große Rüstungskonzerne.
Ich erzählte ihr von unserem Erlebnis am Abend bei der Rückkehr zum Hotel: Tom und ich wären beinahe mit einer Gruppe Jugendlicher zusammengestoßen. Ich hatte vor mich hin geträumt, aber Tom war zum Glück geistesgegenwärtig genug gewesen, rechtzeitig die Straßenseite zu wechseln, woraufhin uns eine Mischung aus spanischen und englischen Begriffen nachgeflogen war, die wir nur teilweise verstanden und die mit harten Schwänzen, unseren Ärschen und ich glaube auch mit unseren Müttern zu tun hatten.
Die Rezeptionistin fing gleich zu schimpfen an, als ich nachfragte, ob Canoga vielleicht ein Gang-Problem habe: »Problem? Ach was, das sind kleine Hosenscheißer, gerade mal sechzehn, siebzehn, die dir ein C zuwerfen, wenn du ihnen über den Weg läufst.« Sie machte das entsprechende Handzeichen: »C für Canoga. Die ahmen richtige Gangs nach, diese kleinen Idioten. Die kennen das alles aus dem
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