Die Kometenjäger: Roman (German Edition)
Lächeln.
»Komm«, sagte sie. »Lass uns ein bisschen in der Gegend rumlaufen.«
Es war Freitag früh gegen elf, und Glendale war noch nicht erwacht. Vermutlich würde es heute auch nicht mehr erwachen. Es war eines dieser Viertel, wie es sie auch in Deutschland gab; die Gegenden, in denen sich jeder sonnige Vormittag wie ein Sonntag anfühlte. Es war merkwürdig, dass Claire hier wohnte, dachte ich. Die Vororte und sie, das passte nicht zusammen. Als ich es erwähnte, gab sie mir sofort Recht.
»Ja, es ist wirklich langweilig hier. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal an so einem Ort wohnen würde.«
»Wo möchtest du denn wohnen?«
»Gar nicht an einem Ort.«
»Dann bist du irgendwann heimatlos.«
»Erzähl mir nichts von heimatlos«, sagte sie ernst. »Davon hast du keine Ahnung.«
Wir gingen durch die stillen Straßen, vorbei an kleinen Rasenstücken und einem sandigen Baseballplatz. Alle Farben waren in dem flachen Vormittagslicht wie ausgeblichen. Es würde ein heißer Tag werden, aber durch die Baumkronen über uns ging eine Brise, und die Luft war noch kühl. Die Garagentore, die Kinderfahrräder und aufgerollten Gartenschläuche – ich betrachtete alles mit jener Neugierde und Bewusstheit, die auf einschneidende Erlebnisse folgt. Claires Schritt war schneller als meiner. Sie machte mir nicht den Eindruck, als sei das, was passiert war, ein einschneidendes Erlebnis für sie gewesen. Ich hatte das Gefühl, dass sie in Gedanken schon im Morgen oder Übermorgen war.
»Dein Freund Tom«, sagte sie. »Was macht er genau?«
»Das ist so ziemlich die schwierigste Frage, die du mir stellen konntest«.
»Wieso?«
»Ich versuche, das rauszukriegen, seit ich ihn kenne.«
»Also, erklär’s mir doch.«
»Er will sein Teleskop verkaufen. Aber ich glaube, er will es eigentlich nicht. Ich weiß nicht mal genau, warum wir hier sind.«
»Und warum läufst du ihm hinterher.«
»Er kann sehr bestimmt sein. Er setzt sich immer etwas in den Kopf, und dann ist es gar nicht so einfach, das Programm zu stoppen. Er hat immer eine Bestimmung, der er folgt … Glaubt er zumindest.«
»Das klingt gefährlich.«
»Wieso gefährlich?«
»Nun, viele Leute leben nach einem Programm. Vor allem hier in Amerika. Entdecke deine Bestimmung, und dann folge ihr.« In ihrer Stimme mischte sich Abscheu mit Spott. »Es ist die südkalifornische Ideologie.«
»Aber es ist doch gut, an eine Bestimmung zu glauben, oder? Besser als an nichts zu glauben.«
»An sich zu glauben ist die eine Sache. Aber das Richtige zu tun die andere.«
»Wie meinst du das?«
»Ist dir mal aufgefallen, dass nur wenige Menschen wirklich produktiv sind? Die meisten anderen glauben an ihren Plan.«
Ich betrachtete sie verwundert. Es war, als hätte sie in zwei Sätzen eine ziemlich große Geschichte zusammengefasst. Über Tom und über mich. Ich hätte es nie so benennen können.
»Tom hat Augen wie ein Luchs«, sagte ich. »In anderen Zeiten wäre er bestimmt ein großer Astronom geworden. Weißt du, er hat wirklich Talente.«
»Jeder in L.A. ist ein Talent«, lachte sie höhnisch. »Und jeder glaubt, er müsste das Maximale aus seinem genetischen Programm rausholen. So denken nur die Amerikaner.«
»Aber du bist ja Amerikanerin«, sagte ich leise.
»Von mir aus, ja. Aber ich denke nicht so.«
Wir gingen schweigend weiter mit unbekanntem Ziel. Vielleicht waren wir auch schon längst wieder auf dem Weg zu ihr nach Hause.
»Tom ist bestimmt in Ordnung«, sagte sie in einem versöhnlicheren Ton. »Was du sagst, klingt ganz nett. Aber er wirkt nicht ganz … wach.«
»Aber wer hat das Recht, ihn aufzuwecken?«
»Du bist sein Freund, oder?«
»Klar bin ich das.«
»Da hast du es«, erwiderte sie. Und mehr sagte sie nicht.
Der Spaziergang dauerte nicht sehr lange. Wir hatten tatsächlich nur eine kleine Runde gedreht und standen schon wieder vor ihrer Haustür. Mein Verlangen nach ihr war jetzt beinahe schmerzhaft. Aber mein Verlangen passte nicht in die friedliche Sonntagmorgenstimmung in diesem Vorort. Also fragte ich sie nur, ob wir uns wiedersehen wollten. An dem Augenaufschlag, der ihr »Gerne« begleitete, glaubte ich doch, etwas ablesen zu können. Da war wieder ihr freundlicher Spott, und zugleich machte sie mir Hoffnung. Also verabschiedete ich mich mit einem Kuss auf ihre Wange und fuhr ins Hotel.
Da ich Tom keine Nachricht über meinen Verbleib hinterlassen hatte, rechnete ich bei meiner Rückkehr am Mittag damit, ihn wütend
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