Die Kometenjäger: Roman (German Edition)
sich immer mehr den lokalen Gepflogenheiten an. Er drängelte sich gelassen in enge Lücken, überholte rechts und ließ keine übertriebene Rücksicht mehr walten. Zu beiden Seiten des Freeways erstreckten sich quadratkilometergroße Areale voller Neuwagen, eine nicht enden wollende Parade funkelnder Motorhauben. Einige der Autohändler hatten ihre Vorplätze zu richtigen Vergnügungsparks aufgemotzt, mit großen Luftballons in Rennwagenform, Rampen für Motorradstunts, sogar privaten Achterbahnen. Bald hatte ich die Logos aller Automarken von A bis Z gesehen. Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, wer all diese Autos kaufen und fahren sollte. Und wer den Amerikanern das Geld dafür pumpte. China? Tom sprach kaum. Er saß aufrecht in seinem Sitz und sah nach vorn, als dürfte er die Mission keinen Augenblick aus den Augen verlieren. Wir hatten ausgemacht, so weit wie möglich durchzufahren und uns mit dem Schlafen abzuwechseln.
»Ruh dich aus«, sagte Tom zu mir. »Du kommst noch früh genug dran.«
Als ich erwachte, waren die Autohändler verschwunden und die Sonne stand hinter uns im Westen. Der Freeway führte nun durch offenes Terrain, durch eine mit spärlichen Büschen bewachsene ockergelbe Ebene zwischen fernen dunkelbraunen Berghängen. Die Sonne brannte anders hier draußen. Es kam mir vor, als hätte ich noch nie zuvor in meinem Leben so ein Licht gesehen. Im Westen schienen die Farben des Himmels und der Erde vertauscht zu sein. Die Gebirgszüge schimmerten bläulich, der Himmel aber brannte in einem übermächtigen Gelb, einer Farbe, die bis in jede Pore der kargen Landschaft einzudringen schien. In der Ebene drehten sich Windräder, ein riesiger Park aus ihnen, der bald mein ganzes Blickfeld, die Ebene und schließlich sogar die Hänge der braunen Berge einnahm. Die Szenerie war von unwirklicher und kalter Schönheit. Wir reisten durch ein menschenleeres Land, in dem einzig die geflügelten Türme ihrem roboterhaften Tun nachgingen. Tom fuhr in eine Kurve. Die Schwingen waren nun vor uns, sie rotierten und arbeiteten im Gegenlicht. Und hinter den Zacken der erdfarbenen Berge brachen einzelne Sonnenstrahlen hervor, die in der Luft standen wie glühender Stahl.
Tief hinter das Lenkrad geduckt, um zu den Gipfeln emporblicken zu können, fuhr Tom weiter auf der rechten Spur. Draußen veränderte sich die Szenerie schon wieder. Ein paar Palmen tauchten auf – hohe Palmen mit langen, schlanken Stämmen, die in Reihen entlang des Highways standen. Tom nahm die nächste Ausfahrt, bog auf eine Landstraße und hielt vor dem Parkplatz eines weiß getünchten kleinen Ladens. Ich stieg aus und bemerkte schon beim ersten Atemzug, dass die Luft anders roch als in Los Angeles. Trocken, heiß, neutral. Keine Spur von dem schweren, salzigen Pazifikgeruch, der mir erst jetzt, wo er fehlte, bewusst wurde. Jenseits des Restaurants führte die Landstraße durch staubiges, leeres Terrain in Richtung Palm Springs. Hinter den Zäunen war nur trockenes Buschland, übersät mit kopfgroßen Steinen. Ein paar Läden am Wegesrand boten Töpferware und Keramikvasen an. Es waren auch Skulpturen dabei – ähnlich scheußliches Zeug wie in Toms Vorgarten, auch wenn es hier als »indianische Kunst« verkauft wurde.
In dem leeren Laden pfiff die Panflötenversion von »Winds of Change« aus den Lautsprechern. Ich nahm zwei Bierdosen aus einem Kühlschrank. In einer Truhe lagen abgepackte »Giant Sandwiches«, jedes so groß wie der Unterarm eines Erwachsenen. Ich bestaunte die Dinger nur fasziniert, aber Tom griff zu. »Als eiserne Ration für die nächsten Tage.«
Draußen setzten wir uns auf die Eingangstreppe, unter einen Matador-Degen. Auf dem Parkplatz übten drei halbwüchsige Skateboarder Sprünge. Sie taten so, als wären wir gar nicht da. Aber jetzt, wo sie Publikum hatten, wurden ihre Kunststücke gewagter, ein ums andere Mal flogen herrenlose Skateboards in hohem Bogen durch das späte Nachmittagslicht und knallten zurück auf den Teer. Tom und ich bissen abwechselnd in das mit Truthahn belegte Sandwich und tranken Bier. Die Luft war pur wie abgekochtes Wasser. Man konnte sich reinigen in ihr.
Ich nahm noch einen großen Bissen, dann erzählte ich Tom, wie ich die letzte Nacht verbracht hatte. Ich hatte mit einer negativen Reaktion gerechnet, aber Tom war nicht nur verärgert, er schien erschrocken, ja entsetzt über meinen Verrat.
»Ihr wart in einem Planetarium?«
»Entschuldige mal. Ich wusste ja nicht, wo sie
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