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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Deckert
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voraus, durch den dunklen Garten. Claire wohnte im Hinterhaus, das vom Haupthaus durch einen kleinen Hof mit Steinplatten abgetrennt war. Es war nicht viel größer als ein Schrebergartenhäuschen, aber mit Geschmack eingerichtet, wie ich schon beim Eintreten sah, nicht vollgestopft und ohne die geringsten Anzeichen von Kitsch. Es gab weder einen Flur noch ein Vorzimmer. Man trat durch die Tür und stand schon vor der Wohnzimmercouch. Es gab nicht viele Zimmer zu besichtigen, also setzte ich mich und rückte ein wenig auf dem Sofa hin und her. In so einem kleinen Zimmer war man unweigerlich ein Fremdkörper. Ich fühlte mich wie ein unbeholfener Riese, meine Schuhe auf Claires Teppich wirkten groß wie Schlauchboote.
    Claire ließ mich für kurze Zeit allein. Sie ging ins Vorderhaus, um Getränke zu besorgen. Als sie verschwand, fragte ich mich, ob das nun war, was es zu sein schien. Egal was es war, verglichen mit dem, was ich sonst erlebte, war es ein gewaltiger Fortschritt.
    Als Claire zurückkehrte, hatte sie die richtigen Getränke dabei. Harte Getränke. Sich ein Glas Weißwein einzugießen, wäre jetzt wohl albern gewesen. Ich entschied mich für Wasser und Wodka, die ich nicht mischte, sondern in zwei Gläsern vor mir auf dem Boden stellte.
    Mir gegenüber auf dem Boden saß Claire. Ich fragte sie, ob sie immer in L.A. gelebt habe, und sie erzählte mir ihre Geschichte. Ihr Vater war Mathematiker aus Bulgarien und hatte in den Siebzigerjahren seine Reiseprivilegien genutzt, um in die USA überzusiedeln. Ihre Mutter war Tänzerin gewesen und arbeitete jetzt als Gehilfin in einer Anwaltskanzlei. Ich glaube, es gefiel Claire, nur eine halbe Amerikanerin zu sein. Sie reiste gerne. Sie fühlte sich dem Rest der Welt verbundener als Amerika oder Los Angeles, dieser Stadt, die von allen Menschen so wichtig genommen wurde. Sie hatte viele Orte gesehen und einige davon bereits für langweilig befunden. Sie hatte an unterschiedlichen Orten studiert und gelebt. Ihre Vorliebe galt kalten Städten: Chicago, Minneapolis, Kiew. Kiew? Ja, Kiew. Claire hatte in der Ukraine begonnen, Russisch zu lernen, es aber nicht weit damit gebracht. Langsam verstand ich besser, was ihr wesentliches Merkmal war. Es war mir schon aufgefallen, als sie durch das große Dobson gesehen hatte: Sie trug ihre Schönheit nicht spazieren, damit die Welt sie bemerkte. Stattdessen gab sie die Neugierde, die die Welt ihr entgegenbrachte, doppelt zurück. Es gab vielleicht nicht allzu viele schöne Menschen, die dazu in der Lage waren. Aber die, die es konnten, waren auf unschlagbare Weise attraktiv. Man konnte gar nicht anders, als ihnen dabei zuzusehen, wie sie mit ihrer Schönheit nicht angaben.
    Ich erzählte ihr von Toms und meiner Suche nach der Dunkelheit, was sie zum Lachen brachte.
    »Und, wird es dunkel in Deutschland?«, wollte sie wissen.
    »Nein, deswegen haben wir die Suche jetzt auf Amerika ausgedehnt.«
    »Ihr könntet nach Osteuropa fahren. Dort wird es sehr dunkel.«
    »Das darfst du niemals in Toms Gegenwart erwähnen.«
    »Warum?«
    »Er fährt sofort nach Transsylvanien. Wirklich.«
    Wir redeten, bis das Gespräch auf natürliche Weise verebbte. Wir hätten weiterreden können, aber nachdem wir im Observatorium schon über die Unendlichkeit und die Schöpfung gesprochen hatten, war es mehr als genug für einen Abend. Ich fragte mich, ob sie jemals schüchtern wurde oder früher schüchtern gewesen war. Beides konnte ich mir nicht vorstellen. Eine halbe Stunde hatte ich auf die Frage gewartet, ob ich eine Freundin hatte. Schließlich begriff ich, dass sie nicht mehr fragen würde. Es war ihr egal.
    Claire ging noch einmal in die Küche. Als sie wieder zurückkam, trug sie weder Duftkerzen bei sich, noch kramte sie nach einer bestimmten CD. Sie hatte auch nichts an- oder ausgezogen. Sie kam einfach nur zurück, mit einem frischen Glas in der Hand. Sie gab mir kein Zeichen, und es war nicht der Moment, auf den ich gewartet hatte. Aber ich brauchte auch keine Zeichen mehr. Ich hatte längst beschlossen, dass die Zeit der Zeichen und des Wartens auf Zeichen für mich vorbei war. Und als sie zu mir kam und keine Anstalten machte, sich besonders weit weg von mir auf die Couch zu setzen, beugte ich mich zu ihr und küsste sie behutsam auf den Hals hinter ihr linkes Ohr, wo ihr fremder Duft am intensivsten war. Als ich zurückzog, lächelte sie mich nicht an. Sie lächelte in Richtung des Fensters, es war schon wieder ihr spöttisches

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