Die Kommissarin und der Tote im Fjord
bezahlte, einen Sachbearbeiter zu blamieren. Als Sveinung Adeler dir gesagt hat, dass er den Bericht schon abgeschickt hatte, hättest du dir die Mühe machen sollen, nachzufragen, wie denn sein Votum schließlich lautete. Wenn du das getan hättest, dann hättest du gewusst, dass es gar keinen Sinn mehr machte, ihn umzubringen.«
Gunnarstranda zog Steffen mit sich in den Zellentrakt, während Lena ihnen hinterherrief: »Es war völlig sinnlos! Hörst du, Steffen. Du hast dich selbst verarscht!«
Die Tür knallte ins Schloss.
Lena blieb stehen.
Es dauerte zehn Minuten.
Dann kam Gunnarstranda zurück.
»Stehst du immer noch hier?«
Sie nickte.
Gunnarstrandas Stimme war leise und teilnahmsvoll, als er sprach: »Steffen Gjerstad hat mir erzählt, dass du krank bist, Lena. Stimmt das?«
Sie nickte.
»Es ist vollkommen verständlich, dass die Nerven blank liegen, wenn man so eine Diagnose ins Gesicht geschleudert bekommt«, sagte Gunnarstranda. »Ich habe Menschen verloren, die mir nahestanden, ja, im Grunde haben alle, die ich kenne, jemanden, der von dieser Krankheit betroffen ist. Alle können das verstehen. Du hast Arbeitskollegen, die für dich einspringen werden. Du brauchst Ruhe und Entspannung, Lena. Du wirst eine verdammt harte Behandlung durchlaufen. Ich kenne dich und bin mir sicher, du wirst das schaffen. Aber nur, wenn du dich auch darauf konzentrierst! Tu etwas Vernünftiges. Geh nach Hause und feiere Weihnachten wie andere Menschen. Denk positiv. Melde dich krank und werde gesund. Das Leben ist keine Autobahn in der Po-Ebene. Das Leben hat viele Kurven, und ab und zu gibt es eine Steigung. Manchmal lösen wir die Dinge im Nu. Und manchmal brauchen wir verdammt viel Geduld. Das ist die wichtigste Eigenschaft für einen Polizisten. Seine eigenen Grenzen anzuerkennen. Wir sollen für Recht und Ordnung sorgen. Die Macht liegt woanders. Die liegt beim Parlament, bei der Regierung und bei den Gerichten.«
Lena stand still da und sah ihn an.
»Manchmal auch bei der Presse«, sagte Gunnarstranda mit seinem charakteristischen kleinen Lächeln. »Jedenfalls glaubt sie das selbst. Komm«, sagte er und fasste sie am Arm. »Wir haben den gleichen Weg, wir teilen uns ein Taxi.«
Schweigend saßen sie nebeneinander auf dem Rücksitz des Taxis. Der Wagen fuhr durch stille Straßen. Es roch nach Wunderbaum. Der Fahrer hatte das Radio leise gedreht und die Scheibenwischer wegen des Schneefalls auf Intervallschaltung eingestellt.
Gunnarstranda räusperte sich. »Du feierst Weihnachten mit deiner Mutter?«
Lena antwortete nicht.
»Was ist?«, fragte Gunnarstranda.
»Der Mann mit der Hasenscharte, woher kommt der?«
Gunnarstranda zuckte mit den Schultern. »Klingt so, als sei er aus Fredrikstad.«
»Ich meine, aus welcher Abteilung?«
»Keine Ahnung. Glaube, er ist schon lange beim Geheimdienst. Wieso?«
»Ich frage mich, was für eine Sorte Mensch das ist oder wie sie so werden.«
Gunnarstranda sah sie von der Seite an.
»Mir kam plötzlich der Gedanke, dass diese Leute Stian Rømer sicherlich jede Minute beschattet haben, seit er in Gardemoen gelandet ist.«
Das Taxi hielt vor einer roten Ampel.
Der Fahrer drehte das Radio wieder lauter. Bing Crosby sang White Christmas .
«Und wenn der Geheimdienst nun alles mit angesehen hat, was an dem Morgen auf dem Kai passiert ist?«
Gunnarstranda antwortete nicht.
»Ich würde tippen, sie waren da und haben alles gesehen«, sagte Lena. »Aber sie haben nicht eingegriffen, und sie haben uns nichts gesagt. Überleg mal, was alles passiert ist, nur weil diese Leute glauben, sie hätten den wichtigsten Job der Welt, und meinen, das Wichtigste im Leben sei, zu schweigen.«
»Ich bezweifle, dass sie da waren und alles gesehen haben.«
»Aber wenn sie nun doch da waren?«
Gunnarstranda seufzte schwer. »Wenn es die Sonne nichtgäbe, dann würden wir nicht existieren«, sagte er. »Aber die Sonne geht jeden Morgen auf. Denk nach vorn, Lena. Morgen ist Heiligabend, und der wird schöner für deine Mutter und für dich, wenn du nicht vergisst, die Hammelrippchen ins Wasser zu legen.«
SONNTAG, 7. MÄRZ
Schritte knirschten auf dem schneebedeckten Wegstück. Das Brummen des Motors, der im Leerlauf lief, war das einzige Geräusch, das die winterliche Stille durchbrach, als die Frau den Eispickel und die Schaufel über die Schulter legte, über den Schneewall am Wegrand stieg und durch den knietiefen Schnee watete. Die weiße Fläche glitzerte. Die Sonne hing tief am
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