Die Kommissarin und der Tote im Fjord
Himmel und ließ die Rinde der Baumstämme golden leuchten.
Langsam bahnte sich die Frau einen Weg hinunter zur Eisdecke, kniff die Augen zusammen, um sie vor dem grellen Sonnenlicht zu schützen, und stapfte vorwärts. Sie musste sich warm laufen. Unter der losen oberen Schneeschicht lag eine ältere, komprimierte Schicht, die viel Muskelkraft erforderte. Die Frau arbeitete systematisch und rhythmisch, schaufelte sich ein rechteckiges Stück von zwei mal vier Metern frei. Sie grub tiefer. Bald reichte ihr der Schnee bis zur Taille.
Dann begann die Arbeit mit der Eishacke. Bei jedem Schlag spritzten feine Eisstücke in die Luft. Die Sonnenstrahlen reichten nicht bis in das Loch hinunter. Glanzlos blieben die Splitter liegen, bis sie weggeschaufelt wurden oder unter ihren Füßen zu feinem Pulver zerbröselten. Die Eishacke war wie ein Speer mit dem Blatt einer schmalen Axt. Der Schaft saß etwas locker in der schmiedeeisernen Fassung. Am Anfang waren die Eisstücke leicht wegzuschippen, aber je tiefer die Hacke ins Eis vordrang, desto mehr Arbeit machte es, die lose Masse wegzuschaufeln. Sie arbeitete sich warm. Ihr Atem wurde am Rand der Pelzmütze zu Reif. Manchmal streckte sie den Rücken und maß mit dem Schaft der Eishacke. Dreißig Zentimeter blauenEises und noch immer kein Wasser. Vierzig Zentimeter und noch kein Wasser, fünfzig Zentimeter und noch kein Wasser. Da! Plötzlich steckte die Eishacke fest, und ein dünner Strahl Wasser sprudelte hervor. Der Anblick gab ihr neue Energie. Sie riss die Hacke los und schlug das Loch größer. Jetzt schob sie loses Eis und Schmutz einfach unter die Eiskante, wenn das Wasser hochdrückte. Als das Loch sauber und quadratisch war, kam die Treppe dran. Das Eis spritzte zur Seite, als sie die Stufen ausschlug.
Dann stellte sie die Hacke wie einen Ast schräg in den Schnee. Wieder war der laufende Motor das einzige Geräusch. Die Abgase stiegen wie eine graue Skulptur in die eisige Luft. Sie ging zum Auto zurück, setzte die Stiefel in die alten Spuren.
Auf dem Sitz lagen Handtuch, Wolldecke und Eispickel. Der Weg zurück zum Loch ging schneller. Davor blieb sie stehen, betrachtete das schwarze Wasser, zog die Hacke heran und hackte einen scharfen Eiszapfen weg, der gleich neben der Treppe ins Wasser ragte. Sie zog sich die Wollhandschuhe aus. Sofort biss ihr die Kälte in die Finger. Die Jacke wurde auf den Schnee gelegt. Der Reißverschluss an der Seite der Thermohose wurde geöffnet. Die Kleider wurden fein zusammengelegt. Die Schnürbänder wurden gelöst und die Stiefel abgeschüttelt. Sie stand barfuß auf der Thermohose. Bürstete Schnee weg. Zog sich den Wollpullover aus, die Skiunterhose, das Wollhemd. Zum Schluss schälte sie sich aus BH und Slip. Dann stand sie nackt in der eisigen Kälte. Von ihrer Haut dampfte es, der Schweiß verwandelte sich innerhalb von Sekunden in unsichtbaren Eisrauch. Sie spürte, wie die Kälte in ihre Haut drang und sie fast gefühllos machte, trotzdem blieb sie still stehen. Sie wollte kalt und abgekühlt sein, bevor sie sich bewegte. Die Wassertemperatur würde zwei, vielleicht drei Grad betragen. Sie wollte, dass es sich dennoch warm anfühlte, wenn sie hinein stieg. Deshalb badete sie ihren Körper in der sibirischen Kälte, wartete nacktunter dem blauen Himmel, weiße Haut, eine gelbweiße Gestalt vor weißem Schnee. Rotes, kurzes Haar, blaue Augen, rote Lippen, rote Brustwarzen und eine kleine rote Narbe auf der linken Brust. Die Sonne ging schon langsam unter. Ein fast unsichtbarer, aber dennoch schwerer Schatten hatte sich über die Landschaft gelegt. Die Abenddämmerung des späten Winters nahte. Die Baumstämme an Land leuchteten nicht mehr golden. Die Schneekristalle in dem weißen Schneeteppich glitzerten nicht mehr, die Baumstämme warfen keine Schatten mehr. Grauer Dunst am Himmel färbte sich rosa, wie die letzten Zuckungen einer sterbenden Sonne. Sie wartete immer noch. Aber ihr war nicht mehr warm. Sie zitterte. Die Hände zitterten, und die Oberschenkelmuskeln waren bis zum Äußersten gespannt, als sie sich in Bewegung setzte. Sie stieg die Eistreppe hinunter und senkte ihren Körper ins Wasser. Der Körper war ein weißer Stock, der in schwarzer Materie versank, Füße, Waden, Knie, Schenkel, Taille, Brüste, Arme, Hals, Kopf. Der ganze Körper sank unter Wasser, hinein in den entscheidenden Augenblick. Jetzt konnte sie beschließen, zu sterben, alles zu beenden, einfach dort bleiben, die Reise durch dieses
Weitere Kostenlose Bücher