Die Kommissarin und der Tote im Fjord
dreißig gesehen wurde, dann suchen wir einen Zug, der kurz davor gehalten hat«, sagte Gunnarstranda.
Weitere Bilder erschienen auf dem Schirm. Züge in vollerLänge. Leute stiegen aus. Die Türen wurden geschlossen. Der Zug setzte sich in Bewegung. Der nächste Zug fuhr ein. Die Türen öffneten sich. Passagiere stiegen aus.
Da. Ein Mensch in einem roten Jogginganzug sprang heraus, als die Türen sich schon wieder schlossen.
»Das ist sie.«
Die Person verschwand aus dem Bild.
»Die Tunneleinfahrt«, sagte Gunnarstranda.
Sie sahen dieselbe rot gekleidete Gestalt den Bahnsteig entlanglaufen, sich umdrehen und auf die Schienen springen. Dann verschwand sie im Dunkel des Tunnels.
Gunnarstranda und der Wachmann starrten auf den Monitor. »Da«, sagte Gunnarstranda lächelnd. »Sie waren zu zweit.«
Bilder lügen nicht. Es war ganz deutlich zu sehen. Eine Person in einer kurzen Jacke mit einer Kapuze über dem Kopf lief hinter Nina Stenshagen her, sprang über die Plastikschranke am Ende des Bahnsteigs, lief die Treppe hinunter und verschwand ebenfalls im Tunnel.
»Der Mann weiß, was passiert ist«, sagte Gunnarstranda. »Er muss nach dem Unfall durch den Notausgang raus sein.«
»Das hilft uns wenig«, sagte der Wachmann düster. »Das bedeutet, dass unsere Leute die beiden einfach übersehen haben, als sie den Tunnel durchsuchten. Das darf eigentlich nicht passieren.«
»War das Licht eingeschaltet, als sie den Tunnel durchsucht haben?«
Der Wachmann nickte. »Aber im Tunnel sind keine Kameras.«
Gunnarstranda schwieg nachdenklich. Dieser Fall begann ihn zu interessieren. Der Mann auf den Bildern folgte Nina Stenshagen in den Tunnel. Warum? Was hatte er getan, als sie sich vor den Zug warf? Warum hatte er sich die ganze Zeit versteckt? Warum verließ er den Tunnel erst nach dem Unfall?
»Können Sie versuchen, das Gesicht des Mannes im Kapuzenpulli heranzuzoomen?«
Der Wachmann spulte zurück.
Er schüttelte den Kopf. »Sieht aus, als hätten wir nur seinen Rücken.«
»Er muss irgendwo eingestiegen sein«, sagte Gunnarstranda.
»Da gibt es viele Möglichkeiten.«
Gunnarstranda stand auf. »Können Sie ein bisschen weitersuchen und mich anrufen, wenn Sie etwas finden?«
6
Lena setzte sich an einen Tisch im Pausenraum, auf dem die aktuelle Boulevardpresse auslag. Mehrere leere und halbleere Tassen standen auf dem Tisch herum. Auf den Zeitungen stand eine Plastikdose mit Pfefferkuchen. Daneben ein Weihnachtsstern. Sie steckte eine Fingerspitze in die Blumenerde. Trocken. Sie griff nach einer halbvollen Teetasse und kippte den Inhalt in den Topf, dann stellte sie die Keksdose weg und griff nach der obersten Zeitung. Nichts über die Wasserleiche vom Rathauskai. Und die Internetzeitungen?
Lena stand auf, ging zurück in ihr Büro und holte ihren Laptop aus der Tasche, die über dem Stuhl hing.
VG-Nett und Dagbladet.no hatten Fotos vom Krankenwagen und dem Personal in Reflexwesten. Aftenposten hatte ein altes Archivfoto von Lena ausgegraben. Sie gefiel sich nie auf Fotos. Auf diesem hatte sie außerdem eine scheußliche Frisur. Die Artikel sagten nichts aus, nur dass eine männliche Leiche gefunden worden war.
Lena konnte sich nicht zurückhalten. Sie ging auf die Startseite des Birkebeiner-Rennens und suchte den Namen SveinungAdeler. Der Mann war gut in Form gewesen. 2:57:06 Stunden. Das war unglaublich gut! 54 Kilometer von Rena bis Lillehammer auf Skiern in unter drei Stunden! Ihre persönliche Bestzeit war 3:48:24 Stunden. Da war sie auf den letzten zehn Kilometern so fertig gewesen, dass sie allein aus Willenskraft durchgehalten hatte. Abzubrechen hätte bedeutet, bis in alle Ewigkeit von ihren männlichen Kollegen im Allgemeinen und von Emil Yttergjerde im Besonderen verspottet zu werden.
Sie beschloss, den Journalisten Steffen Gjerstad zu googeln, und fand zahlreiche Einträge. Offensichtlich nutzte er mehrere soziale Netzwerke. Sie wurde eingeladen, sich bei Twitter, Facebook und LinkedIn einzuloggen. Stattdessen suchte sie bei Google nach Fotos. Sie blätterte eine Weile. Ziemlich attraktiver Typ. Irgendwie authentisch. Auf zwei der Fotos war er zusammen mit einer Gruppe gleichaltriger Frauen zu sehen. Sie lachten. Es gefiel ihm offenbar, der einzige Mann unter lauter jungen Frauen zu sein. Auf einem Foto sah er mit einem leicht unsicheren Blick zum Fotografen auf. Das gefiel ihr. Das Lächeln auch.
Sie rief die Internetseiten von Dagens Næringsliv auf und gab seinen Namen ein. Schon
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