Die Komplizin - Roman
Sonias Ton klang so scharf, dass ich mich am Riemen riss. »Warum bin ich hier?«, fragte sie. »Was erwartest du von mir?«
Diesmal war es an mir, eine ganze Weile zu schweigen.
»Ich habe vorhin gesagt, dass ich dich angerufen habe, weil ich nicht wusste, was ich tun sollte, und mir von dir irgendwie Rat erhoffte. Aber das stimmt nicht so ganz. Ich weiß sehr wohl, was zu tun ist – oder zumindest, was ich tun könnte . Du
bist die einzige Person, an die ich mich wenden konnte, auch wenn ich fürchte, dass ich dir damit etwas Schreckliches angetan habe. Deswegen möchte ich vorab Folgendes klarstellen: Ein Wort von dir, und es steht dir frei, auf der Stelle von hier zu verschwinden. Ich werde warten, bis du in sicherer Entfernung bist, und dann doch die Polizei anrufen. In diesem Fall bleibt mir gar keine andere Wahl, denn für das, was ich im Sinn habe, brauche ich jemanden. Das schaffe ich nicht allein.«
Sonia blickte auf die Leiche hinter meinem Rücken. Es war, als stünde sie am Rand eines Abgrunds und müsste wie gebannt in die Tiefe starren, weil der schreckliche Anblick sie nicht mehr losließ.
»Was willst du von mir?«
»Ich möchte …« Ehe ich weitersprechen konnte, musste ich tief Luft holen, doch dann sprudelten die Worte nur so aus mir heraus. Sie klangen noch absurder und unmöglicher, als ich gedacht hatte. »Ich wollte dich bitten, mir dabei zu helfen, die Leiche wegzuschaffen.«
Sonia stieß ein leises Keuchen aus und trat gleichzeitig einen Schritt zurück, so dass sie mit dem Rücken fast gegen die Tür stieß.
»Sie wegzuschaffen?«, wiederholte sie mit zitternder Stimme. Mir fiel auf, dass auch Sonia nicht von »ihm« sprach, sondern von »ihr«, der Leiche – als versuchte sie zu verdrängen, dass es sich dabei um einen Mann handelte, den sie gekannt und mit dem sie noch vor Kurzem gesprochen, diskutiert und gelacht hatte. »Ist das dein Ernst?«
»Wenn wir sie wegschaffen, bekommt vielleicht niemand etwas mit. Zumindest für lange Zeit.«
»Du meinst das tatsächlich ernst. Du glaubst, du und ich könnten – nein, Bonnie. Du weißt nicht, was du da sagst.«
»Allein schaffe ich es auf keinen Fall«, erklärte ich. »Ich habe hin und her überlegt, aber mir fällt keine andere Lösung ein.«
»Das ist ganz unmöglich. Sieh ihn dir an. Er ist groß. Wir
können ihn nicht einfach … ich meine, wie stellst du dir das vor?« Sie stieß ein kleines, schrilles Lachen aus, das genauso abrupt endete, wie es begonnen hatte. »Du hast zu viele Filme gesehen.«
»Was anderes ist mir nicht eingefallen.«
»Das ist doch verrückt – und schrecklich obendrein. Mir wird schon bei dem bloßen Gedanken übel. Hast du dir überlegt, wie das wäre? Er ist tot. Bestimmt wird er bald steif oder sonst was.«
»O nein! Hör bloß auf!«
»Was? Darüber zu reden? Wenn du es nicht mal ertragen kannst, dir das anzuhören, wie willst du es dann tatsächlich tun? Denn genau das passiert, oder etwa nicht? Alles beginnt sich zu verändern.«
»O mein Gott.«
»Dir ist bestimmt nicht danach, ihn anzufassen. Ein Toter fühlt sich anders an als ein Lebender.«
»Mir bleibt keine andere Wahl, Sonia.«
»Es ist ein Verbrechen, vergiss das nicht. Vielleicht spielt das für dich jetzt keine große Rolle mehr, aber für mich…« Sie schluckte krampfhaft. »Eine solche Tat zu verschleiern und polizeiliche Ermittlungen zu verhindern … Wir könnten für lange, lange Zeit ins Gefängnis wandern. Nicht nur du, sondern auch ich. Hast du dir das überlegt?«
Sie betrachtete mich mit funkelnden Augen, woraufhin ich erneut den Kopf auf die Knie sinken ließ.
»Du hast recht. Es war unverzeihlich von mir, dich da mit reinzuziehen«, murmelte ich. »Du musst ganz schnell von hier verschwinden. Es tut mir schrecklich leid, dass ich dich überhaupt angerufen habe. Ich meine das ehrlich. Los, beeil dich.«
»Steh auf, Bonnie.«
»Was?«
»Steh auf. Ich kann nicht mit dir reden, wenn du so auf dem Boden kauerst.«
Ich rappelte mich hoch. Der Raum schien zu schwanken.
»Ich fühle mich, als wäre ich betrunken«, erklärte ich, »oder als hätte ich die Grippe.«
»Du hast dir wirklich eingebildet, wir könnten die Leiche einfach so loswerden?«
»Nein«, antwortete ich. »Du hast recht und musst schleunigst von hier verschwinden.«
»Wie hast du dir das vorgestellt? Ich meine, wie um alles in der Welt sollten wir seine Leiche auch nur hier aus der Wohnung bekommen, ohne dass uns jemand
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