Die Komplizin - Roman
nennst uns von jetzt an Bonnie und Sonia und sagst du.«
»Was spielen denn Sie, ähm, ich meine, was spielst du? Klavier?«
»Wahrscheinlich springe ich einfach ein, wo gerade Bedarf besteht. Das hängt ganz davon ab, wen wir sonst noch auftreiben.«
Joakim war bis zu seiner Abschlussprüfung im Juni mein Schüler gewesen. Kennengelernt hatte ich ihn als Fünfzehnjährigen. Damals war er noch recht klein für sein Alter, trug sein Haar kurz geschoren und hatte das aggressive Auftreten eines Jugendlichen, der sich danach sehnte, endlich älter, größer
und cooler zu sein. In dem Sommer zwischen dem Abschluss der Sekundarstufe und seinem letzten Schuljahr war er dann fünfzehn Zentimeter in die Höhe geschossen und zu einem bleichen, mageren und linkischen Halbwüchsigen mit mickrigem Bartflaum und pickeliger Stirn geworden. Kaum ein halbes Jahr später hatte er bereits kräftig zugelegt, sich das dunkelblonde Haar wachsen lassen und angefangen, Selbstgedrehte zu rauchen und schwarze Röhrenjeans zu tragen. Plötzlich war er ein lässiger junger Mann, der immer betont locker tat, seine angeborene Lebhaftigkeit unter seiner neuen, coolen Art versteckte und einen Stil zur Schau trug, der irgendwo zwischen romantisch und lebensüberdrüssig lag. Ich hatte all seine schnell wechselnden Phasen miterlebt, so dass ich kaum umhinkonnte, immer mal wieder einen Blick auf den jungen Joakim zu erhaschen, der so gern dazugehören wollte und seine Unsicherheit so großspurig zu überspielen versuchte. Gleichzeitig hatte ich auch seine Fortschritte als Musiker verfolgt. Mein Eindruck war – vielleicht, weil es auf mich ebenfalls zutraf –, dass er beim Musizieren am wenigsten befangen wirkte und am ehesten mit sich selbst in Einklang. Zwar verbrachte ich einen Großteil meiner Zeit in einer Kakophonie aus Gekreische, Gepuste und Geklapper, doch Joakim konnte wirklich spielen: die Flöte sehr gut, die E-Gitarre schön laut, die Geige mit exzellenter Intonation, aber auch mit viel Gefühl.
Genau das veranlasste mich dazu, ihn zu fragen. Außerdem wusste ich, dass er diesen Sommer ein wenig in der Luft hing, weil er nicht nur auf seine Examensergebnisse, sondern auch auf den nächsten Abschnitt seines Lebens wartete und die ganze Zeit nervös auf den Nägeln herumkaute, dabei allerdings so tat, als ginge ihn das Ganze nichts an. Vermutlich rührte er mich einfach, und ich wollte dafür sorgen, dass es ihm gut ging.
Die Hochzeit lag noch Wochen entfernt. An diesem schönen Sommertag hatte ich erst mal Ferien. Mir war klar, dass ich eigentlich mein Apartment in Angriff nehmen sollte, das sogar an einem solchen Tag düster wirkte, fast wie eine Kellerwohnung. Aber nicht ausgerechnet heute. Stattdessen rief ich Sally an und fragte sie, ob sie Lust habe auf ein Picknick.
»Das wäre absolut fantastisch«, antwortete sie derart enthusiastisch, dass ich überrascht aufhorchte. »Ich drehe mit Lola sonst noch durch.«
Sally war meine älteste Freundin. Wir kannten uns schon, seit wir sieben waren, und manchmal fand ich es richtig erstaunlich, dass wir es geschafft hatten, all die Jahre in Kontakt zu bleiben. Wir waren fast wie Schwestern, zankten und zerstritten uns, wussten einander nicht immer zu schätzen, beneideten einander sogar hin und wieder (ich sie um ihr gemütliches Nest und sie mich um meine Freiheit), blieben aber dennoch miteinander verbunden. Lola war ihre eineinhalbjährige Tochter: ein molliges, wildes Kleinkind mit Grübchen an den Knien, einem Haarschopf, der an klebrige Zuckerwatte erinnerte, und einer Stimme, die es mit jeder Bohrmaschine aufnehmen konnte. Darüber hinaus besaß Lola einen eisernen Willen, der Sally oft vor Frustration in Tränen ausbrechen ließ. Mir fiel auf, dass von ihrem ursprünglichen Plan, mit Richard rasch vier Kinder zu bekommen, neuerdings nicht mehr die Rede war.
»Du bringst Lola mit, und Brot für die Enten. Ich besorge uns was zum Essen. Wir treffen uns im Regent’s Park.«
Wir ließen uns im Gras nieder, das bereits ein wenig verdörrt wirkte, und mampften Käsebrötchen, während Lola um uns herumtollte. Einmal fiel sie hin und stimmte ein lautes Gebrüll an, das jedoch wenig überzeugend klang. Dann machte sie sich an die Verfolgung eines Eichhörnchens. Nachdem sie ihm ein paarmal zugerufen hatte, es solle doch stehen bleiben
und ihr Brot fressen, gab sie abrupt auf und erklomm stattdessen Sallys Schoß, wo sie sofort einschlief – den Daumen im Mund und die
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