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Die Konkubine des Erzbischofs

Die Konkubine des Erzbischofs

Titel: Die Konkubine des Erzbischofs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Blankertz
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durchsetzungsorientierten Vernunft. Auf der Ebene des Handeln allerdings kennt Averom genau die »Mikrophysik der Macht«: Er tötet aus zweifelhaften Motiven den Grafen Wilhelm von Dampierre, um den Erzbischof, vermittelt durch den von den Erzbischöfen aus Mainz, Köln, Trier und Bremen inthronisierten »Pfaffenkönig« Wilhelm II von Holland . (dessen Legitimität er nicht anerkennt), zu zwingen, ihm eine Sammelstelle für sein »Heer der Befreiung« zu überlassen.
    Auf der anderen Seite ähneln sich Pater Bueno und Magdalena: Bueno, der noch in der Bekehrungs-Predigt, in der er zukünftiges Schweigen gelobt, seine emotionalen Ausbrüche nicht zügeln kann, legt seine wahre Motivation ebenso wenig offen wie Magdalena. Beide handeln unmittelbar bedürfnisgeleitet und sind nicht bereit, vor ihr Tun einen rationalen Filter zu setzen.
    Es ist der Blickwinkel der Magd, der den Erzbischof und Bueno . (bzw. den kleinen Bonaventura) zu den Bösewichtern sowie Magdalena und »El Arab« zu den Guten macht. In den Standard-Geschichtsbüchern wird uns ein anderer Blickwinkel vermittelt: Entweder ist es der Blickwinkel der Herrschenden und dann schneidet so ein Erzbischof natürlich recht gut ab, oder es ist der Blickwinkel der asketischen Reformer und dann kommt nur einer wie Pater Bueno in Frage . (den Antisemitismus übergeht man dann stillschweigend).
    Um für Averom Partei ergreifen zu können, müsste man zugeben, dass Scheitern historisch oft notwendig ist, um moralisch integer bleiben zu können. Und um für Magdalena Partei ergreifen zu können, müsste man einsehen, dass die Moral der Religion für den Menschen und sein gutes Leben da ist, nicht aber der Mensch für die Erfüllung vorgeblich religiöser »Pflichten«.

Politisch gesehen scheitert die Aufklärung von Anfang an, weil sie weder die Macht für sich hat, noch den Glanz, den die Askese verleiht, sondern einfach nur auf das gute Leben der Menschen im Allgemeinen abzielt. Die Aufklärung hat die Vernunft auf ihrer Seite, aber was vermag die Vernunft gegen die unkeusche Macht und gegen das keusche Charisma auszurichten?
    Die Vision Averoms von seinem Reich der Toleranz erscheint uns als naiv. Finden wir sie naiv, weil wir durch die Erfahrung der brutalen staatlichen Herrschaft gelernt haben, dass sie unrealistisch ist? Oder finden wir sie naiv, weil wir meinen, eine Lösung müsse doch irgendwie komplizierter sein? In Wahrheit ist und bleibt die Lösung der Aufklärung einfach: Leben und leben lassen. Dies ist natürlich auch die Parole der Genießer. Wäre es nicht eine bessere Koalition, die Aufklärung mit den Genießern zu verbinden als mit den Asketen oder Politikern?
    Na ja, selbst bei den Politikern gibt es durchaus Unterschiede. Zwar mag uns der Erzbischof als Schurke erscheinen, wenn wir ihn allerdings mit dem Gildemeister Wilbert vergleichen, erscheint er schon in besserem Licht. Die Machtorientierten, die die Macht noch nicht haben oder die sich ihrer Macht noch nicht sicher sind, müssen die radikaleren Mittel einsetzen. Dies gilt ja selbst für Averom und seinen ethisch durchaus bedenklichen Mord am Grafen Wilhelm von Dampierre. Diejenigen dagegen, die fest im Sattel sitzen . (wie der Erzbischof), können sich auch die Gelassenheit des Genießers erlauben.
    Es ist die Tragik der Aufklärung, dass sie zu oft meinte, es mit den Wilberts halten zu müssen. Der Erzbischof wäre die bessere Wahl. Trotz allem. Aber er steht nicht für eine Koalition zur Verfügung, weil er sich sicher genug fühlt, um keine Koalition mit lästigen Aufrührern nötig zu haben. Averom kann ihn zwar instrumentalisieren, solange es dem Erzbischof passt, aber keine politische Verbindung mit ihm herstellen: Obzwar sie in ihrer Machtpolitik miteinander verflochten sind, bleiben sie dennoch politische Feinde.
    So wie Wilbert und Averom durch das Streben nach Macht korrumpiert werden, korrumpiert die Angst ums Überleben den Rabbi: Er muss diejenigen verraten, die ihm wohlgesonnen sind, weil sie nicht genügend Macht haben, um den Schutz seiner jüdischen Gemeinde zu übernehmen. Darum hält er es mit denen, die die Macht haben. Aber auch das ist ein Trugschluss: Einige Jahrzehnte später werden die Juden aus Köln verbannt. Sie dürfen sich in Köln nur noch tagsüber aufhalten, um Geschäfte zu machen. Nachts müssen sie die Stadt verlassen.
    Wenn wir die Perspektive wechseln und uns auf den Standpunkt der städtischen Revolution von Wilbert stellen, sähe die moralische

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