Die Konkubine des Erzbischofs
sexuellen Freiheit. Durch die Reformation und die Gegenreformation sind wir gewohnt, die nachsichtige Haltung mit kritischem Spott oder mit ungezügeltem Hass zu betrachten, die die katholische Kirche gegenüber dem unkeuschen Treiben sowohl ihrer Schäfchen als auch ihrer Hirten einnahm. Von den Kirchenreformern und Kirchenkritikern werden seitdem nur die sexuellen Asketen positiv bewertet.
Dagegen ist es kaum glaubwürdig, dass die Würdenträger, Herrscher, Bürger, Bauern, Mönche und Nonnen, die sich nicht dem asketischen Ideal entsprechend verhielten, dieses Tun nicht auch reflektiert haben und vor Gott gerechtfertigt fanden. Peter Abaelard hatte seine Schülerin Heloise geschwängert und wurde dafür . (obgleich er sie geheiratet hatte und ihr dann lebenslang treu verbunden blieb) von deren Oheim kastriert. Die Täter aber wurden als Verbrecher bestraft. Die Fürsorge für »gefallene Mädchen« war Christenpflicht. Sogar der gestrenge heilige Augustinus ermahnte, dass es mehr Schaden als Nutzen bringen würde, würde die Kirche versuchen, die Prostitution zu unterbinden. »Unterdrückt das Dirnenwesen«, schrieb er, »und die Gewalt der Leidenschaften wird alle Ordnung vernichten.« Die Bischöfe und Könige, die Konkubinen hatten, hatten wohl nicht durchgängig das Gefühl, dass sie Unrecht tun würden. Sexuelle »Sünden«, so befand der heilige Thomas von Aquin, seien allesamt von untergeordneter Bedeutung, wenn und solange sie »niemandem Schaden zufügen« – und gegen Gott richteten sie sich allemal nicht.
Es ist falsch, generell die Idee der politischen Freiheit mit der Forderung nach sexueller Askese verbunden zu sehen, nur weil dies im Fall des Puritanismus so war: Der Puritanismus ist nur eine Möglichkeit, für politische Freiheit einzutreten. Aber durch seinen sexuellen Dogmatismus trägt er die totalitäre Konsequenz bereits in sich. Dies gilt für die mittelalterliche Aufklärungsphilosophie nicht. Sie ist konsequent an der Vernunft orientiert. Und mit Vernunft lässt sich die Forderung nach Askese nun mal nicht durchgängig begründen.
Thomas von Aquin hat mich gelehrt, immer die Motive der Menschen, etwas zu tun, zu betrachten – diese Motive können nicht anders als »gut« sein. Sie sind gut in dem Sinne, dass der Mensch nichts anstreben kann, was er nicht als gut . (zumindest für sich selbst) ansieht. Die Schlechtigkeit ist unbeabsichtigt, sie kommt durch den sozialen Kontext zustande, den wir nicht unter Kontrolle haben.
Der franziskanische Kritiker des Erzbischofs in Magdalenas Geschichte, Pater Bueno, gehört zu denjenigen, die von den späteren Historikern stets begünstigt wurden: Er erinnert die Kirche an ihre asketischen Versprechen. Das ist konsequent. Aber aus dem Blickwinkel der Magdalena von Köln aus – ist er ein Bösewicht, der für sie und die von ihr gewählte Lebensform bedrohlich ist. Es ist dann sicherlich viel Heiligkeit dazu nötig, über diese Bedrohung hinweg anzuerkennen, dass Pater Bueno doch auch der Weisung Gottes folgt und seinen Weg nicht verlassen sollte. Es wäre natürlich genau diese Art der Heiligkeit, die die Welt vor dem Hass der gegenseitigen Verfolgung und Vernichtung bewahren würde.
Aber schon der leiseste Versuch, diese Form heiliger Toleranz ins Politische zu übersetzen, wie es Averom – »El Arab« – versucht, scheitert: Wer die Instrumente der Herrschaft benutzt, erliegt deren inneren Logik. Und diese Logik beginnt mit Mord . (in diesem Fall traf es den Grafen von Dampierre) und endet auf dem Scheiterhaufen . (in diesem Fall traf es seine Geliebte Magdalena). Das hat sich bis heute nicht geändert.
Immerhin: Die von Averom so geschätzten Dominikaner waren kaum zwanzig Jahre vor 1252 das Instrument der sogenannten »ersten Inquisition«, die, obgleich in ihrer Grausamkeit nicht mit der großen Inquisition des 16. Jahrhunderts vergleichbar, Ausdruck höchster Intoleranz war. Der Dominikaner Thomas von Aquin lehnte zwar die gewaltsame »Bekehrung« von Nichtchristen kategorisch ab . (da der Glaube freiwillig sein müsse), rechtfertigte aber, dass diejenigen, die Christus die Treue geschworen hätten, auch unter Zuhilfenahme »körperlicher Mittel« . (Gewalt?) dazu gebracht werden sollten, diese Treue einzuhalten. Danach würde man sich als Nichtchrist durchaus besser stehen denn als Christ!
Averom und der Erzbischof sind sich näher, als Averom bewusst ist: Beide denken in den Kategorien einer zweckgebundenen, zielgerichteten und
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