Die Konkubine des Erzbischofs
der Wissenschaft zu widmen. Mit meinem Sohne nahm er . (wiederum als Christ getarnt) in Paris an den heftigen Auseinandersetzungen um den Aristotelismus teil, verließ die Stadt aber, als die barfüßige Richtung mit Waffengewalt gegen die Aristoteliker vorging, obgleich die Studenten ihr Recht auf scholastische Disputation und ihren Helden, den Magister Thomas, geschickt zu verteidigen wussten. Averom starb in Sevilla, wo er zum Broterwerb eine ärztliche Schule mit etlichen Schülern eingerichtet hatte, während er Philosophie gemeinsam mit meinem Sohne nur noch zur Kontemplation betrieb.
Mich aber fand mein Sohn verheiratet vor, wie ich es vom Sultan ebenso wie von der heiligen Magdalena aufgetragen bekommen hatte. Mein Bruder Peppino, den ich einst »meinen zärtlichen Bruder« nannte, ist nie je nach Köln zurückgekehrt und hat kein Wort mehr an mich, seine einst ach so geliebte Schwester, gerichtet. Gemeinsam mit meinem treuen Gatten Wolfhardt, einem Witwer, dem ich meine Vorgeschichte durchaus nicht verheimlichte, leite ich bis auf den heutigen Tag das »Haus der weißen Frauen«, das meine hohe Herrin, Gott habe sie selig, dereinst gegründet hatte und das bis zu seinem Tode im Jahres des Herrn 1261 unter dem besonderen Schutze von Erzbischof Konrad stand.
Für die Zusammenkünfte der Magdaleninnen haben wir eine kleine Kapelle hinter dem weißen Hause zwischen der Schwalben- und der Armengasse errichtet, wohin auch ihre ebenso wie Konrads Gebeine überführt wurden; und nichts von den heiligen Texten, die sie uns hinterlassen hat, wurde je vergessen und wird je vergessen werden, solange wir leben. Von Zeit zu Zeit gibt uns zu unser aller Freude sogar der altehrwürdige Magister Albertus, der sich seit 1271 nach langem Dienst für Papst Urban wieder in Köln aufhält und hier lehrt, die Ehre seiner Teilnahme. Man erzählt sich übrigens, es sei ihm gelungen, in seinem geheimen Labor eine Puppe, Magdalena sehr ähnlich, zu bauen, die »Alpha« und »Omega« sage, wenn man in die Hände klatsche.
Bevor er dann nach einiger Zeit verstarb, gesellte sich bisweilen auch der weiße Wolf zu uns, den Magdalena vor der Rache der Bauern gerettet hatte. Ich frage mich, ob nicht auch der durch Magdalena geheilte König ihr die Ehre erboten hätte, wäre er beim Erzbischof nicht in Ungnade gefallen, so dass er die Stadt nicht mehr betreten konnte. Herzog Chlodwig und seine Gemahlin Leutsinda jedenfalls tun dies, wann immer sie in der Stadt weilen.
Da aber unser irdisches Leben nicht ewig währen wird, bitten wir den heiligen Vater in Rom, unsere Magdalena von Köln ihrer Wunder und Visionen wegen selig zu sprechen und für den Stand der Heiligkeit vorzusehen. Wenn er Zweifel an der Ehrlichkeit und christlichen Aufrichtigkeit unseres Glaubens haben sollte, laden wir ihn in aller Demut ein, uns zu besuchen und einer unserer Messen beizuwohnen.
»Und bedenket immerdar, dass bei Gott nicht das Ende das Ziel ist, sondern der Anfang.«
N A C H W O R T
»Selbst der Autorität der [christlichen] Philosophen beugen wir uns nicht, ohne ihre Meinung vorher mit der Vernunft zu überprüfen.«
Peter Abaelard
Bisweilen wird behauptet, das Fühlen und Denken anderer Kulturen oder anderer Epochen sei so verschieden von uns, dass sich keiner heute so recht dahineinversetzen könne. Wenn ich jedoch Romane von chinesischen oder japanischen Autoren lese, wenn ich den Briefwechsel zwischen Peter Abaelard und seiner geliebten Heloise lese, wenn ich die Ilias und Odyssee lese oder die Bibel – immer fällt mir eher das Verbindende als das Trennende auf. Sicherlich sind die sprachlichen Riten anders und zunächst fremd. Die dahinter stehenden Gefühle, die menschlichen Ängste und Auseinandersetzungen ähneln sich jedoch stark. Sobald sich der Leser in sie »hineingefunden« hat, ist ihm die »fremde« Kultur oder Epoche alles andere als fremd.
Immer und überall stehen die Menschen mit ihren Sorgen und Nöten, mit ihrer Freude und Ausgelassenheit, mit ihrem Großmut und ihrer kleinlichen Gehässigkeit angeblich rationalen, aber kühlen und letztendlich menschenverachtenden Strukturen, Systemen und Ideologien gegenüber, die unnachsichtig alles verfolgen und ausmerzen, was abweicht. Ob Sokrates im antiken Athen, der »scholastische Sokrates« Peter Abaelard im Mittelalter oder der Psychotherapeut Wilhelm Reich im nationalsozialistischen Deutschland bzw. demokratischen Amerika – wer nicht ins »rationale« Konzept passt, wird auf
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